: KERZENSCHEIN STATT FEUERWERK
■ „ZweiDreiViertel“ spielt „Der Bär“ und „Der Heiratsantrag“ von Anton Tschechow
„Das ist wahre Emanzipation! Ich werde Sie aus Prinzip erschießen!“, schreit Smirnow der Witwe Popowa zu. Dabei ist er gerade vor ein paar Minuten in ihre „Gruft“ eingedrungen, in der sie seit dem Tode ihres Gatten vor sich hin welkt. Um Schulden einzutreiben, hat er nicht nur die heilige Trauer gestört, er hat über die „schwarze Maskerade“ der Witwe hergezogen und sich in wüsten Tiraden über die Frauen ergangen - diese ach so „poetischen Wesen“ - „doch schaust‘ in ihre Seele: ein ordinäres Krokodil!“ Popowa läßt das nicht auf sich sitzen, ihre Beleidigungen zwingen den rasenden Gläubiger, sie „im Namen der Gleichberechtigung“ zum Duell zu fordern, doch am Schluß liegt der grobe „Bär“ unter Liebesschwüren in ihren Armen.
Während Tschechows große Dramen auf den Bühnen Europas neue Triumphe feiern - Peter Stein will nach den „Drei Schwestern“ den „Kirschgarten“ an der Schaubühne inszenieren - sind die komischen Szenen aus dem Frühwerk eine Spezialität für kleine Theater. Die Gruppe „Zwei Drei Viertel“ hat sich im Neuköllner Schauspiel zwei Einakter aus dem Gutsbesitzermilieu vorgenommen: „Der Bär“ und „Der Heiratsantrag“ zeichnen sich durch grelle Komik und pfiffige Pointen aus.
Doch leider ist der Neuköllner Smirnow (Stefan Merki) kein russischer und erst recht kein Tschechowscher „Bär“. Ihm fehlt die Rotznäsigkeit und Kraftmeierei, er ist nicht unverschämt genug, selten bärbeißig, und sein „Hab ich eine Wuuut!“ kommt nicht aus den Tiefen einer russischen Gutsbesitzerseele. Wo er sich angesichts weiblichen Unverstands in Schmerzen winden müßte, bleibt er stocksteif wie ein bestrafter Schuljunge vor Popowa stehen, anstatt vor Leidenschaft zu glühen, wirkt er zaghaft und gehemmt.
Auch die anderen beiden Schauspieler zünden allenfalls Kerzen an, wo es ein Feuerwerk abzubrennen gäbe. Sie verzögern das Tempo statt es Schlag auf Schlag gehen zu lassen, verpassen die Pointen um ein Haar, und nur in wenigen Momenten wird eine Spannung aufgebaut, die zeigt, wie Tschechow sein könnte.
Dasselbe gilt auch für den zweiten Einakter. Lomow (Steffen Münster) kommt zum Nachbarn Tschubukow, will um die Hand der Tochter Natalja (Andrea Katzenberger) anhalten. Stotternd erklärt er sich, der Vater ist hochentzückt, doch der „Heiratsantrag“ wird beinahe zunichte gemacht, weil sich alle Beteiligten bis zum Herzkollaps über die Besitzrechte an einer strittigen Bullenwiese ereifern. Im Vergleich gewinnt das Stück ein wenig durch Steffen Münsters komische Begabung, die jedoch nur selten recht zum Tragen kommt. Das Publikum zu Beginn des Einakters zum Mitsingen von „Kalinka“ zu bewegen, ist auf jeden Fall nur als peinlich mißglückter Regieeinfall zu bewerten.
Tschechows Einakter sind Himmelsgeschenke für komische Schauspieler. Sie sind voll von Tobsuchtsanfällen, Ohnmachten, Verfluchungen, Schmeicheleien, falschem Pathos und eitlem Geschwätz. Es sind Grotesken, Possen, Karikaturen, die man kaum überzogen genug spielen kann, verrückte Alltagsgeschichten, die die Borniertheit und Lächerlichkeit, unser in höchstem Maße albernes Benehmen bloßlegen. Sie sind Tschechows jugendlichem Übermut entsprungen, doch der bleibt im Neuköllner Schauspiel leider auf der Strecke.
mawe
„ZweiDreiViertel“ spielt täglich um 20 Uhr, So auch um 12 Uhr bis zum 5.3. im Neuköllner Schauspiel, Berthelsdorfer Str. 13, 1-44
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