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DIE QUADRATUR DES STREICHQUARTETTS

■ Das „Arditti String Quartet“ bei den „Inventionen 89“

Wer eine Kartoffel schält, sie zerschneidet und kocht, hat mit ziemlicher Sicherheit zum Ziel, sie zu verspeisen. Wenn aber einer - wie Milan Knizak - eine Schallplatte zerkratzt, sie zerbricht und verbrennt, will er (zumindest auch) etwas demonstrieren: zum Beispiel die nicht speicherbare Musik. Ein doppeltes Verspeisen also: Das Äußerliche der platten Platte und das andere, dann folgerichtige, Genießende des unwiederbringlichen musikalischen Augenblicks. Musik als Mahlzeit.

Was auch immer über das Festival Neuer Musik gesagt werden mag, das heute abend mit dem letzten von vier Konzerten des Londoner „Arditti String Quartet“ zu Ende geht, es wird jedenfalls den SchallplattenproduzentInnen einiges Kopfzerbrechen bereiten - nicht nur angesichts des Zerbrechens ihrer Produkte. Was da an Schauspielerei, an clownerischer Situationskomik und visuellen Botschaften in diese Neue Musik akribisch hineinkomponiert ist und begeistert herausinterpretiert wird, paßt auf keinen Tonabnehmer - verführt werden könnten hier höchstens Kameraleute!

Der Anfang vom Ende der „Inventionen 89“ fand am Montag abend im Kammermusiksaal der Philharmonie statt. Ein gut verdaulicher Teil vor der Pause enthielt auch die Uraufführung eines Werkes des erwähnten Tschechen Knizak. Mit Hilfe von Schallplatten-Puzzlen und Partitur-Collagen erstellt er eine virtuose Mixtur aus Dvoraks E-moll -Quartett, Habas „XIII. Quartetto“ und eigenem Erguß. Wie bei den zuvor gespielten Stückchen des Schönbergianers LaMonte Young wird auf allen Instrumenten die gewohnte Tätigkeit des Streichens ausgeübt. Das ändert sich bald: Als die Stücke des amerikanischen Performance-Künstlers George Brecht und des koreanischen Komponisten und Video-Künstlers Nam June Paik bevorstehen, ist es absolut still. Die Musiker setzen sich, schlagen die Noten auf, setzen an - stehen auf, schütteln sich die Hände und verbeugen sich: „Shaking hands“ (1962) von Brecht. Für einen kurzen Moment hatte ich das erschreckende Gefühl, etwas verpennt zu haben. Für den nächsten Brecht - „Polishing“ - sind wir vorgewarnt. Das gleiche Zeremoniell zuerst - dann zupft der Cellist (Rohan de Saram) ein gelbes Staubtuch aus seinem Jacket und wienert aus Leibeskräften an seinem Instrument herum; die drei anderen spielen ein gutes Erstaunen, warten - und tun es ihm nach. Ich möchte zu gern wissen, ob die das geprobt haben... Schließlich Paik: Auch sein „Streichquartett“ ist eine Uraufführung. Es dauert nur wenig länger als eine Zigarette: Die Vier kommen mit nur einem Bogen wieder, der Cellist beginnt, ein wenig damit zu tönen, während der erste Geiger (Irvine Arditti) sich - interessiert zuschauend - eine Zigarette anzündet. Bogen und Zichte wandern nun durchs gesamte Quartett - bis zum Ende des Glimmstengels!

Nach der ziemlich eintönigen (na gut, viertönigen) Abstrich -Etüde des Florentiners Guiseppe Chiari macht sich das Quartett ans „2.Streichquartett“ von Mauricio Kagel. Die Musikalität, mit der sie ihr Handwerk einsetzen, ist begeisternd! Sie spielen hörend, hören sich spielend ab. Kagels eingestreuten Humor nehmen sie genauso ernst, wie die vorgeschriebene Instrumentenquälerei, die Saiten mit drahtumriffelten Holzbogen zu bearbeiten. Der Cellist, als wäre das selbstverständlich, stellt sein Instrument auf die Schnecke (also auf den Kopf), probiert ein bißchen so rum, legt es sich dann auf den Schoß und bläst voll Inbrunst in die F-Löcher! Der erste Geiger zieht sich plötzlich einen schwarzen Lederhandschuh an die linke Hand und wirft seinen Kollegen an der zweiten Geige (David Albermann) ein Tuch aufs Griffbrett, während schließlich der Bratschist (Levine Andrade) mit seinem Bogen beginnt, den Cellisten anzufechten. Die Akrobatik der Spielenden hat sich auf Gestik und Mimik zu erstrecken, der Bierernst dieser kammermusikalischen Flaschenpost wird wirksam entkorkt!

Nach der Pause dann das Unbegreiflich-Unverdauliche: Das Werk mit dem vielversprechenden Titel „Unendlich zu sein, kann nicht unendlich sein“ wird drohend kommentiert: „Für acht vorher aufgenommene Streichquartette und Live -Streichquartett“. Es stammt von dem rumänischen Komponisten Horatiu Radulescu. Mensch stelle sich den Radau vor, den 32 unkoordinierte Bögen auf 128 Saiten fabrizieren, der von acht Lautsprechern aus allen Richtungen des Saals auf HörerInnen und Spieler eindringt, der circa 50 Minuten dauert und laufende Nasen, Kopfschmerzen, einen Buhruf und apathische Gesichter verursacht! Die Einmaligkeit dieses vielseitigen Gequassels ist unbestreitbar.

Am Dienstag im Hebbel-Theater dann namhafte Komponisten: die ersten kammermusikalischen Versuche Strawinskys, die filigran bis zerhackt fabulierenden Phrasen György Ligetis, Wolfgang Rihms Streichquartett Nr.8, in dem Papier selbst als Material spricht - geschüttelt, geknüllt, zerrissen -, ein Werk Elliot Carters, das der Komponist im Programm etwas stelzig mit staatstheoretischen Gedanken einer Demokratie untermauert und schließlich der brillante griechische Architekt und Komponist Iannis Xenakis, der unter anderem sanft akzentuierte Akkordgestalten und glissandierende Klangwände schmeißt! Geräusche werden zur Musik erhoben, auf den Saiten kratzen sie, schnarchen, furzen, knarren und quietschen, was das Zeug hält. (schade nur, daß auch das alles wieder 'komponiert‘ ist, bzw. werden muß. lang ist noch der weg, daß musik der 'ernsten‘ sorte sich frei machen kann; selbst die - teilweise - unkomponiert knarrenden und quietschenden protagonisten der 'free-jazz'-zunft haben diesen widerspruch nicht gelöst, sondern sich zu oft in klischees manövriert. sezza)

Christian Vandersee

Heute abend spielen sie zum vierten und letzten Mal - die Quadratur wird abgeschlossen. - 23.2., 20 Uhr, Hebbel -Theater

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