AUSSER KONTROLLE

■ Kurzfilme der Filmhochschule Lodz

„Theo, wir fahr'n nach Lodz“, krähte einst Vicky Leandros und die ist glücklicherweise fast vergessen. Namen wie Roman Polanski, Andrzey Wajda, Jerzy Skolimowski und, seit kurzem nah beim Herrn, Kardinal Krzystof Kieslowski sind es nicht und werden es so schnell auch nicht sein. Sie sind zum Begriff geworden für die „beste Filmhochschule der Welt“ (Wajda), die Lodz mal war, aber längst nicht mehr ist. Wajda beschimpft sie inzwischen als eine „in fruchtbarem Boden begrabene Leiche, die mit einem Verwaltungsbolzen festgenagelt wurde“, was nicht unbedingt der Meinung seines alten Kollegen Henryk Kluba entspricht, der (politische) Veränderungen natürlich nicht leugnen kann („Sie ist ernster, hat eine größere Denkordnung als zu unseren Zeiten“), aber die Gegenwart der Filmhochschule doch um einiges rosiger betrachtet („Sie hat wirklich völlige Freiheit...“). Immerhin ist er jetzt ihr Rektor. Er hört es kriseln in den „moralischen Grundlagen“ seiner Studenten, Stichwort: Karriere machen, doch Leute wie Polanski und Wajda sind groß geworden, weil sie es wollten, über Lodz, über Polen hinaus. Daß sie es auch konnten, ist ein anderes Ding, und daß sie es wurden - nicht trotz, sondern wegen Lodz - ist auch klar.

Zwischen 1956 und 1968 brach in Lodz ein Vulkan an filmischer Kreativität und Innovation los, dessen Epizentrum Polanski in der Bar der Filmhochschule lokalisierte, wo Film als etwas Lebendiges debattiert und nicht in trockenen Seminaren zerredet wurde. Der technische Standard war hervorragend und bot die unbegrenzte Möglichkeit, jeden Film zu machen, ganz anders als in den letzten Jahren, wo oft sogar Diplomfilme aus finanziellen Gründen nicht einmal mehr produziert werden konnten. Theorie und Praxis, harte Arbeit und Feizügigkeit - ein Konzept, das glänzend aufging. Nach Stalin ging's erst richtig rund, nach allen Regeln der Kunst, gute, aufregende Filme zu machen - auch gegen alle Regeln. Wieder Polanski: Dokumentarfilmlehrer Andrzey Munk hielt Polanskis 1958 entstandenen Kurzdokustreifen „Wir werden die Party schon sprengen“ zwar für geschmacklos, Echtheit wollte und konnte er ihm aber nicht absprechen. Für einen Tanzabend, der gefilmt werden sollte, hatte er sich einen Trupp „Hooligans“ engagiert, um die Party zu sprengen, aber dramaturgisch gerieten ihm die Jungs außer Kontrolle, und sein einziges Kamerateam war völlig überfordert, die geballte Randale noch in den Kasten zu kriegen. Acht Minuten Film, die allein es wert sind, sich diese Retrospektive Lodzer Kurzfilme zwischen 1949 und 1985 anzuschauen, bei der Polanski noch mit drei weiteren Filmen präsent ist: „Wenn die Engel fallen“, die Lebenserinnerungen einer alten Klofrau, die ebenso trist sind wie ihr Kiefer heftig wackelt und „Zähnelächeln“, eine voyeuristische Übung, gelungen, weil sie dem Voyeur mißlingt dazu noch der bekanntere „Zwei Männer und ein Schrank“ mit Henryk Kluba, der von dem Schmächtling Polanski heftig verprügelt wird.

Kein falscher Eindruck bitte, Lodz ist nicht ausschließlich Polanski: Lodz ist ebenso Kluba, der sich in „Drei Protokolle“ dicht, hautnah an die Fersen einer nächtlichen Polizeistreife heftet, Lodz ist natürlich Wajda, dessen Tschechow-Berarbeitung „Der böse Junge“ zu sehen ist, ist Skolimowski, der in „Erotik“ Popart-Romantik vorführt, und ist ein so gemeiner, total lustiger Reinkloppper wie „Musterehe“ von Aleksander Pfau, bis zur letzten Sekunde gespickt mit groteskem Humor, der trifft, wo er hinschlägt gegen Bigotterie und Heuchelei, Pathos und Phrasendrescherei. Diese Filme plus einige mehr laufen in den Programmblöcken Eins und Zwei, die Programmblöcke Drei und Vier mit weiteren Filmen von Skolimowski, Arbeiten von Kieslowski und Kryzstof Zanussi gehen dann nahtlos über in die Nach-Prager-Frühlingsära der Filmhochschule Lodz - ein auf alle Fälle aufschlußreicher Vergleich.

DOA

Sputnik Südstern bis 28. Februar, die Polanski-Kurzfilme laufen nur noch bis Samstag, siehe Tagesprogramm