: „Kleine Brötchen backen“ in der Knast-Politik
■ AL und SPD stellten ihre politischen Absichten für den Strafvollzug bei einer Diskussionsveranstaltung vor / Offener Vollzug und Schließung des Hochsicherheitstrakts unstrittig / Umgang mit RAF-Hungerstreik und Ausländerstrafvollzug noch unklar
Auf den Boden der Realität zurückgeholt wurden am Mittwoch abend im Haus der Kirche all diejenigen, die noch gehofft oder befürchtet hatten, ein rot-grüner Senat würde in Berlin die Gefängnisse abschaffen. „Wir müssen ganz kleine Brötchen backen und versuchen, an ein paar Punkten etwas zu verändern, wenn es eine neue Regierung geben sollte“, zog der Vertreter der SPD, der Amtsrichter und Mitglied des Landesvorstandes des Arbeitskreises Sozialdemokratischer Juristen (ASJ), Christoph Flügge, nach zweistündiger Diskussion über das Thema „Wechsel des Senats - neuer Strafvollzug in Berlin?“ Bilanz. Der SPD-Mann war auf dem Podium zusammen mit dem AL-Spezialisten für Strafvollzug, Rolf Kauffeld, und dem langjährigen CDU-Vorsitzenden des Rechtssausschusses, Hubertus Rösler, von drei Mitgliedern der Vereinigung der Berliner Strafverteidiger befragt worden. Während der CDU-Vertreter die Strafvollzugspolitik des Noch-Senats mit altbekannten Statements rechtfertigte, kündigten Flügge und Kauffeld einige wesentliche Veränderungen und Reformen an. Keinerlei Vorstellungen hatten sie jedoch, wie der Vollzug für Ausländer besser gestaltet werden könne und wie mit den Drogenabhängigen und der Aids-Problematik verfahren werden soll. Noch eine dringende Frage blieb unbeantwortet: Wie verhält sich der rot-grüne Senat zum Hungerstreik der Gefangenen aus der RAF?
Unter den zahlreich im Haus der Kirche erschienenen Experten befanden sich viele Angestellte der Haftanstalten. Aber nicht nur fortschrittlich eingestellte Seelsorger, Sozialarbeiter und Psychologen waren gekommen, sondern auch Angestellte der Justizverwaltung sowie Knastbeamte, und sogar der Tegeler Teilanstaltsleiter von Seefranz wurden gesichtet. Die Diskussion dürfte sie überzeugt haben, daß im Strafvollzugswesen unter SPD/AL-Regierung inhaltliche und personelle Veränderungen anstehen. Leitlinie wird das Strafvollzugsgesetz im Sinne der Reform von 1977 sein, die den offenen Vollzug zum Regelvollzug erklärt. Auf die Frage von Rechtsanwältin Elze versicherten die Vertreter von AL und SPD, daß 1983 von der CDU veränderte Ausführungs- und Verwaltungsvorschriften überarbeitet werden sollen, um den Gefangenen wieder das Anrecht auf Vollzugslockerungen im Sinne des Gesetzes zu garantieren. Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer, die von den Anstalten immer dann ignoriert werden, wenn sie sich gegen sie selbst richten, sollen fortan respektiert und umgesetzt werden. Rechtsanwälte sollen künftig in die Akten der Gefangenen Einsicht nehmen dürfen, was von großer Bedeutung ist, weil die Gutachten in den Akten Beurteilungsgrundlage für die Strafvollstreckungskammer bei Entscheidungen auf vorzeitige Entlassung sind.
Daß der Hochsicherheitstrakt abgeschafft wird, versicherten AL und SPD auf die Frage von Rechtsanwalt Bussas. Dem Wunsch der AL, ihn einzureißen, kann laut Flügge nicht nachgekommen werden, weil „dann die drei darüberliegenden Etagen einstürzen würden“. Konsens besteht zwischen den Parteien darüber, daß die Tegeler Spezialbeamten-Truppe für Sicherheit abgeschafft werden soll. Die Truppe besteht aus rund 30 Beamten in martialisch aussehenden schwarzen Spezialoveralls, die für alle sicherheitsrelevanten Dinge wie Stations- und Zellenfilzungen zuständig sind und sich dabei wie die Axt im Walde aufführen. Sie besteht hauptsächlich aus „Scharfmachern“ und ist nicht nur bei den Gefangenen verhaßt, sondern auch bei vielen Beamten. Deshalb erscheint es auch fraglich, ob das Konzept der SPD aufgeht, die Truppe wieder in die Reihen der Stationsbeamten zu integrieren.
Auf die Fragen von Rechtsanwalt Zieger, ob den Ausländern im Knast bald Vollzugslockerungen garantiert werden, reagierten AL und SPD mit Allgemeinplätzen. Derzeit verweigert die Ausländerbehörde Vollzugslockerungen, weil die Gefangenen nach der Verbüßung der Haft abgeschoben werden. Flügge verwies darauf, daß dies in erster Linie eine Frage der allgemeinen Ausländerpolitik sei. Kauffeld betonte den AL-Grundsatz auf Gleichbehandlung aller Gefangenenen.
Auf den Hungerstreik der RAF-Gefangenen kam die Sprache, als eine Gruppe junger Leute die Versammelten aufforderte, eine Resolution zur Unterstützung der Forderungen zu verabschieden. Von der Mehrzahl der Anwesenden unterstützt wurde eine Resolution der AL zum Hungerstreik, in der auf die neue Qualität der Forderung der RAF nach Teilahme an der politischen Diskussion verwiesen wird. Anschließend wurden Kauffeld und Flügge nach dem AL/SPD-Konzept zum Hungerstreik befragt. Flügge zog sich auf Allgemeinplätze zurück: Es gebe darauf keine perfekte Anwort, nicht jeder Hungerstreik habe seine Berechtigung, aber man solle ihn als Signal ansehen und mit dem Gefangenen das Gespräch suchen. Kauffeld betonte, daß AL und SPD noch nicht über dieses Thema geredet hätten, es in jedem Fall im Rahmen der Verhandlungen noch tun würden: Die AL werde ihre Position deutlich machen.
plu
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen