Meerschweinchen am Rücken

■ Eine fremdartige Diagnosemethode in Peru Von Erich Rathfelder

Langsam strich sie mit dem Tier über meinen Rücken. Sie hatte das Meerschweinchen an den Vorder- und Hinterpfoten gepackt, so daß der Cuye, wie die Indios in Peru Meerschweinchen nennen, selbst auf dem Rücken lag. Als das Tier an das Schmerzzentrum meines Hexenschusses heranrückte, begann es zu röcheln. Und das fast menschlich sich anhörende Stöhnen steigerte sich zu einem Aufschrei. Der Cuye hatte den Schmerzpunkt erreicht.

Stille und Ruhe umfaßte mich. Die Curandera, die Heilerin, hieß mich umdrehen und legte mir das tote Tier unter die Füße. Noch nie hatte ich vorher ähnliches erlebt: ich spürte die Energie durch meinen Körper fließen, vom Kopf her strömte sie in meine Füße und verließ mich in Richtung auf das Tier. Ich versank in Trance. Ich sah nicht mehr die schäbigen Tapeten des Hotelzimmers, hörte kaum noch den vorher so störenden Verkehrslärm und die Rufe der Verkäufer auf der Straße.

Seit Wochen hatte ich versucht, die Curandera zu überreden, mir zu helfen. Denn ich, der Gringo, sollte gar nichts von ihrer Heilkunst wissen. Die Kultur der andinen Gesellschaft wird nicht auf den Markt getragen. Als ich zwei Jahre zuvor in der Nähe von Huancayo, der auf 3.200 Meter Höhe gelegenen Andenstadt, einige Zeit als Schafscherer auf einer Kooperative gearbeitet hatte, waren mir schon Gerüchte über die traditionelle Medizin der Nachfahren des Inkareiches zu Ohren gekommen. Doch gab es damals niemanden in dem Dorf, der mir Näheres erzählen wollte. Vielleicht, weil Weiße, seien sie aus der Hauptstadt Lima oder aus Europa, doch nur auf diese Art der Heilkunst herabsehen würden?

Doch bei der zweiten Reise klappte es. Die Curandera hörte sich meine Bitte an. Und nach dem dritten Besuch bei ihr machte sie das Datum aus. Sie werde nach Huancayo kommen und mich behandeln. Geld schlug sie aus. Nur die Busfahrt und das Tier müßte ich bezahlen.

Schon um sechs Uhr morgens trieb es mich aus dem Bett. Und als ich in der kalten Morgenluft der Sierra durch die Stadt schlenderte, zog es mich zum Markt. Ich war nicht einmal überrascht, als ich sie dort traf. Sie bat mich um das Geld für den Cuye. Alles so beiläufig, als hätten wir lange ausgemacht, uns in dem Trubel von Hunderten von Menschen zu treffen. Am Nachmittag werde sie dann im Hotel erscheinen, sagte sie und forderte mich auf, für eine Flasche Pisco zu sorgen.

Langsam kam ich wieder zu mir. Die Curandera hatte das Tier an sich genommen und begann mit ihrer Arbeit. Sie nahm einige Schlucke von dem Pisco und warf Cocablätter in die Luft. Langsam schnitt sie den Cuye auf, ließ das Blut in ein Schale fließen, zog das Fell ab und betrachtete Tier und Blätter.

„Du hast einen Lumbago“, sagte sie und zeigte auf die Wirbelsäule des Cuye. Ihr Finger deutete auf den weißen Fleck, gerade an der Stelle, die an meinem Rücken so schmerzhaft war. „Du mußt dich warm halten, trink nachmittags einen heißen Tee, wenn es kalt wird.“ Sie reichte ein Bündel mit Teeblättern zu mir rüber.

Mein Herz sei außergewöhnlich groß, sagte sie und zeigte mir das Herz des Tieres. Mein Blut sei nicht in Ordnung, sie könne nicht sagen, was es ist. (Schon seit meiner Kindheit soll ich nach Diagnose von Ärzten zuviele weiße Blutkörperchen besitzen.) Die Lunge sei schwarz, und das komme vom Rauchen (wie wahr). Ich hätte auch am linken Knie ein Überbein (stimmt). Es war tatsächlich ganz deutlich auf dem Tier abgebildet.

Langsam nuckelte ich an der Flasche. Die Curandera war gegangen. Die beiden deutschen Frauen, die den Vorgang beobachtet hatten, machten keinen Mucks. Sie haben mit eigenen Augen gesehen, daß die Curandera das Tier nicht selbst getötet hat. Erst eine peruanische Freundin macht uns wieder munter: „Also eine Behandlung mit dem Cuye war das“, sagt sie leicht irritiert, „weißt du, jetzt mußt du drei Tage im Bett bleiben. Sonst wird alles schlimmer mit deinem Hexenschuß. Auf jeden Fall mußt du dich vor Winden schützen. Mit der Fiesta heute abend, mein Lieber, wird es aber nichts mehr.“