: 'Prawda‘ kritisiert Schura Afghanische Krise vertieft
■ Die Ratsversammlung der Widerstandsgruppen legt nach zweiwöchiger Klausur Wahlergebnisse vor: Gemäßigter Mudschaddedi wird Präsident, Fundamentalist Sajjaf Regierungschef
Moskau/Rawalpindi (afp) - Die von den Mudschaheddin in Rawalpindi einberufene Stammesversammlung (Schura) hat nach Ansicht der sowjetischen Parteizeitung 'Prawda‘ „leider nicht zu einer nationalen Einigung, sondern zu einer Vertiefung der Krise geführt“. Eine Versöhnung sei nur unter Einbeziehung aller Parteien, vor allem „so einflußreicher“ wie der in Kabul regierenden prosowjetischen Demokratischen Volkkpartei, möglich, urteilt die 'Prawda‘.
Die Ratsversammlung der afghanischen Widerstandsgruppen hatte am Donnerstag im pakistanischen Rawalpindi den gemäßigten Widerstandsführer Sibghatullah Mudschaddedi zum Präsidenten und den Fundamentalisten Abdul Rab Rasul Sajjaf zum Ministerpräsidenten einer Übergangsregierung für Afghanistan gewählt. Mudschaddedi habe 174 und Sajjaf 173 Stimmen der über 400 Delegierten erhalten, verkündte Dschalaludin Haqqani, der Leiter einer Vermittlungskommission, nach dem Wahlgang. Mit dieser Wahlentscheidung wurde ein zweiwöchiges erbittertes Ringen der sieben von Pakistan aus operierenden sunnitischen Widerstandsgrupen um eine Kompromißlösung beendet.
Nach Angaben aus Widerstandskreisen wird der radikale fundamentalistische Führer Gulbuddin Hekmatjar das Verteidigungsministerium erhalten, der gemäßigte Fundamentalist Burhanuddin Rabbani das Außenministerium und Mohammed Junis Chalis das Innenministerium. Die acht von Iran aus operierenden schiitischen Widerstandsgruppen wurden bei der Vergabe der Ministerposten nicht berücksichtigt. Sie waren aus Verärgerung über die ihrer Meinung nach ungenügende Zahl ihrer Repräsentanten schon vorher aus der Schura ausgezogen.
Der 54jährige Theologe Mudschaddedi, Führer der königstreuen, aber wenig einflußreichen Gruppe „Nationale Befreiungsfront für Afghanistan“, gilt als der einzige Widerstandsführer, der dem radikalen fundamentalistischen Führer Gulbuddin Hekmatjar öffentlich widerspricht. Nach Einschätzung von Diplomaten erhält Mudschaddedi seit einigen Monaten deutliche Unterstützung durch die neue pakistanische Regierung unter Benazir Bhutto und die USA. Er wollte den schiitischen Widerstandsgruppen Anfang Februar mehr Einfluß in der Schura zugestehen, konnte sich aber nicht gegen die sunnitisch-fundamentalistischen Gruppen durchsetzen.
Sajjaf gilt als religiöser Fundamentalist mit Sympathien für die orthodoxe islamische Strömung der Wahhabiten, der offiziellen Lehre in Saudi Arabien. Seine Islamische Union wird massiv von Saudi-Arabien unterstützt. Der 49jährige Sajjaf, Theologe und wie Mudschaddedi Absolvent der renommierten islamischen Al-Azhar Universität in Kairo, hatte sich am stärksten gegen die Teilnahme der schiitischen Widerstandsgruppen an der Schura ausgesprochen.
Sprecher des afghanischen Widerstands erklärten, die Übergangsregierung werde die Macht antreten, sobald die von Moskau unterstützte Regierung in Kabul gestürzt sei. Die neue Regierung ist auf einen Zeitraum von rund acht Monaten beschränkt. Dann sollen Wahlen abgehalten werden.
Kabul sucht Fürsprecher
Die afghanische Regierung hat den ägyptischen Staatschef Husni Mubarak sowie den amerikanischen Industriellen Armand Hammer gebeten, ihren Einfluß auf die US-Regierung geltend zu machen, damit Washington seine Militärhilfe für die afghanischen Mudschaheddin einstellt. In einem Brief an den ägyptischen Präsidenten habe Afghanistans Staatschef Nadschibullah um Fürsprache bei den Regierungen der USA und Pakistans ersucht, meldete die afghanische Nachrichtenagentur 'Bachtar‘ am Freitag. Wie die Agentur weiter mitteilte, hat Afghanistan in dieser Woche den 239. Verstoß Pakistans gegen die Genfer Abkommen vom vergangenen April an die Vereinten Nationen gemeldet.
Kabuls Außenminister Abdul Wakil wandte sich in einen Brief an den amerikanischen Geschäftsmann und Multimillionär Armand Hammer, der seit Lenin alle sowjetischen Führer persönlich kennt und ein starkes geschäftliches Engagement in Pakistan hat. Hammer solle nicht nur in Washington für ein Ende der Waffenlieferungen eintreten, sondern auch in Afghanistan investieren, bat Wakil.
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