: Khomeini stärkt die türkischen Islam-Gegner
Die Diskussion um das Rushdie-Buch und Khomeinis Mordaufruf verschafft den Gegnern der islamischen Fundamentalisten Aufwind / Die Fundamentalisten müssen sich zurückhalten: Propaganda für einen theokratischen Staat ist streng verboten ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren
„All diese Roten - Marx, Lenin, Mao, Stalin - und die jüdischen Orientalisten haben jahrhundertelang unseren Propheten und den Koran angegiftet. Und nun schreibt der vom Teufel besessene Salman Rushdie.“ Nach Meinung von Ibrahim Halil Celik, Bürgermeister der südöstlichen Stadt Urfa, sind die „Satanischen Verse“ des indischen Autors ein erneuter Angriff des Westens gegen den Islam.
Celik meldet allerdings Bedenken gegen Khomeinis Todesurteil an. „Ich bin Schriftsteller und kann es nicht gutheißen, wenn ein Kollege wegen seiner Schriften getötet wird. Sein Tod mag nach dem Islam vorgeschrieben sein, aber wenn ein Schwein getötet wird, bleibt doch die Schweineherde bestehen.“
Der Mufti der Stadt Osmaniye erklärt gegenüber Journalisten, er sei bereit, den göttlichen Auftrag zu befolgen und „Rushdie zu töten“. Eine Frauenpredigt in der Moschee der Kleinstadt Anamur: Die berühmt-berüchtigte Predigerin Gülcin Tavsan rühmt Khomeinis Todesurteil. „Auf zum heiligen Krieg!“ ruft die Frauengemeinde, durch die junge Predigerin angestachelt.
Doch sind der antisemitische Bürgermeister von Urfa, die Kopfjägerin aus Anamur und der Mufti von Osmaniye eher Randfiguren in der türkischen Auseinandersetzung um das Rushdie-Buch und die Drohungen aus dem Iran. Seit Wochen publiziert die linksliberale Tageszeitung 'Cumhuriyet‘ Artikel, in denen Theologen den Spuren der „satanischen Verse“ im Koran nachgehen.
Was hat es mit den drei Kranichen auf sich? Gab sich der Prophet Mohammed in jugendlichem Leichtsinn etwa Götzendiensten hin? In einem Punkt sind sich alle der Koran -Exegese mächtigen Autoren einig: Der Streit um die „satanischen Verse“ ist so alt wie die Geschichte des Islam.
Selbst in einem Buch, das von dem offiziellen Amt für religiöse Angelegenheiten herausgegeben wurde, findet sich ein Verweis auf die Existenz der „satanischen Verse“. Zwar leugnen die meisten islamischen Theologen ihre Existenz und unterstellen Rushdie unlautere Absichten, doch wird auch die Distanzierung von Khomeini nicht vergessen.
Die islamisch-fundamentalistische Bewegung in der Türkei hält sich angesichts der Morddrohungen aus dem Iran mit Sympathiebekundungen für die iranische Seite zurück und beläßt es bei der Verurteilung des „teuflischen“ Rushdie -Buches. Der Paragraph 163 des Strafgesetzbuches hat unmittelbar die islamisch-fundamentalistische Bewegung zum Ziel: Bestrebungen, einen theokratischen Staat zu errichten und die laizistischen Grundlagen der Republik zu untergraben, werden mit 15 Jahren Zuchthausstrafe geahndet.
Der Paragraph sei ein Segen, meint der Vorsitzende des türkischen Rechtsinstituts, Professor Muammer Aksoy, der über die Diskussion um das Rushdie-Buch froh ist. Die Abschaffung des Paragraphen 163 sei ein „Anschlag auf die Republik und den türkischen Staat“.
Für die Gegner der islamischen Fundamentalisten sind das Rushdie-Buch und Khomeinis Morddrohungen ein propagandistischer Glücksfall. Die Mehrheit der frommen, braven türkischen Moslems ist eher erschrocken über den blutrünstigen Khomeini denn über die theologisch nicht einwandfreien Thesen des Salman Rushdie. Die laizistischen Kräfte sind im Aufwind.
„Wo bleibt die Toleranz des Islam?“ fragt der Romancier und Vorsitzende des türkischen PEN-Clubs, Yasar Kemal. Jeden Tag melden sich türkische Schriftsteller in den Zeitungen zu Wort, um gegen Khomeinis „mittelalterliche Barbarei“ zu protestieren.
„Khomeini hat recht“, konstatiert der Vorsitzende des türkischen Schriftstellerverbandes, Aziz Nesin, und empfiehlt gutgläubigen Islam-Sympathisanten, den Koran zu lesen: „Die Scharia, das islamische Recht, ist stets blutig. Und wenn die Scharia in der Türkei eingeführt wird, werden alle Köpfe rollen. Außer denen, die kein Hirn drin haben!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen