: Unterschriften für Vaclav Havel sprengen die Fassade
■ P O R T R A I T
Vor kurzem wurde in Prag gefeiert. Im „Theater am Geländer“, einer Avantgardebühne, die in den sechziger Jahren an der Entwicklung der Pantomime in der Tschechoslowakei sowie des absurden Theaters maßgebend beteiligt war, trafen sich Vertreter des kulturellen und öffentlichen Lebens. Anwesend war, wenn auch nur in den hinteren Reihen, der ehemalige Dramaturg und Hausautor des Theaters, der Dramatiker Vaclav Havel. Es war gerade seine Anwesenheit, die viele der geladenen Gäste hoffen ließ, daß eine Annäherung zwischen der sogenannten ersten, d.h. offiziellen, und der zweiten, d.h. in der Grauzone von Samizdat und Exil angesiedelten Kultur bald wieder möglich sein wird.
Das am 21.9 verhängte Urteil von neun Monaten verschärfter Haft gegen Havel entlarvt das „posttotalitäre System“, in dem er lebt und dessen Rechtsordnung nur „eine Fassade, nur ein Bestandteil der Welt des 'Scheins'“ ist.
Ebenso wie die Anklage einem absurden Werk Havels entnommen zu sein scheint, ist auch Havels eigene Haltung mit dem Hauptthema seines Schaffens verknüpft. Gleich, ob seine Briefe an Olga (Rowohlt 1984), Essays aus dem Gefängnis, die notgedrungen die Gestalt von Briefen annehmen, oder seine Stücke, in jedem Falle steht für Havel das „Thema der menschlichen Identität und ihrer Krise“ im Mittelpunkt.
Havel, Jahrgang 1936, Sohn eines Bourgeois - sein Vater war Unternehmer, der Mitinhaber der Prager Filmstudios - wurde zum Studium nicht zugelassen. Er absolvierte als Laborant ein Abendgymnasium, arbeitete als Bühnenarbeiter, Beleuchter, und begann schließlich, für das „Theater am Geländer“ Stücke zu schreiben. Gleich mit seinem Debüt, dem Stück Das Gartenfest (1963), errang Havel seinen ersten, auch internationalen Erfolg. Bereits hier läßt sich jene Methode erkennen, die Havel später beschreibt: „Ich muß alles sorgfältig abwägen, sorgfältig konstruieren und ziselieren.“ Im Gartenfest gelingt es dem Held, Hugo Pludek, Karriere zu machen, indem er geschickt seine Rede der Sprache seines Gesprächspartners anpaßt, ohne tatsächlich etwas zu sagen. Diese Sprachkritik setzt Havel in seinem zweiten Stück Die Benachrichtigung (1965) fort. Dort arbeitet Havel „wie ein Popmaler, der die konkreten Momente der Realität nimmt und sie in eine phantastische Struktur einordnet. Ich versuchte, in das Stück verschlüsselte Situationen, Haltungen und Beziehungen aus der Geschichte in Form spontaner Verbindungen oder Assoziationen hineinzutragen“.
Nach der Intervention von 1968 wird Havel gezwungen, das Theater zu verlassen. Der bis dahin ständige Kontakt mit seinem Publikum ist unterbrochen. So kommt es, daß ihn der Erfolg seiner Einakter, die er nur zur Unterhaltung seiner Freunde geschrieben hatte, überrascht. Die Audienz (1975) ist in jenem Milieu angesiedelt, wo Havel ein Jahr lang selbst gearbeitet hatte: in einer Brauerei. In einem Dialog zwischen dem geschaßten Intellektuellen Vanek und seinem Braumeister trägt der Braumeister seine Bitte vor, Vanek möge ihm die Last abnehmen, die Berichte an den Geheimdienst zu verfassen. Vanek lehnt das Ansinnen empört ab, beruft sich auf seine Prinzipien. Damit stachelt er den Braumeister zu folgender Antwort auf: „Ich bin nur dazu gut, Mist zu machen, auf dem eure Prinzipien wachsen, gut beheizte Räume für euer Heldentum zu suchen. Du wirst ein Held sein - und was ist mir mir? Wohin kann ich zurückkehren?“
Das Gespräch mit dem Braumeister ist nur eine der Varianten des Druckes, dem Vanek ausgesetzt ist. In zwei weiteren Einaktern, Protest (1978) und Vernissage (1976), wird er mit den ehemaligen Freunden und Kollegen konfrontiert, die Flucht in ihre vier Wände ergreifen oder bereit sind, sich nur dann aufzulehnen, wenn sie sich davon Vorteile versprechen. Auch Vanek ist kein Held. Anders als Hugo Pludek aus Havels dramatischem Debüt ist für ihn das Streben nach Karriere kein Beweggrund. Im Gegenteil, Vanek ist wohl wegen der von Havel angesprochenen Harmonie im Begriff, seine Identität zu verlieren.
Zu seinem Stück Largo Desolato (Rowohlt, 1985) bemerkt Havel: „Was immer es dem Zuschauer erleichtert zu hoffen, das Stück betreffe ihn nicht, steht unmmittelbar seinem Sinn entgegen.“ Erneut ist ein sogenannter Dissident Protagonist des Stückes, einer, der von seiner Umgebung in Anspruch genommen wird, um die Bürden der Auflehnung gegen die Macht für alle auf sich zu nehmen. In seinem Essay Versuch, in der Wahrheit zu leben (Rowohlt, 1980) spricht Havel von der Alibifunktion, die der Rechtsordnung in „der rituellen Kommunikation innerhalb der Machtstruktur“ zukommt. Auch der Held von Largo Desolato als Dissident wird als Teil dieser Kommunikation dargestellt.
Auch Havel selbst dürfte eine ähnliche Rolle erfüllt haben. Heute jedoch ist er zu einer Identifikationsfigur für die Mehrzahl der Intellektuellen geworden. Nur dadurch ist die Tatsache zu erklären, daß über 2.000 Künstler und Wissenschaftler sich mit ihren Unterschriften für seine Freilassung einsetzen. Die Einmaligkeit dieser Aktion zeugt nicht nur von der moralischen Integrität Havels, sondern ist auch ein Zeichen dafür, daß die jahrelang vollzogene Trennungslinie zwischen den beiden „Kulturen“ im Begriff ist, brüchig zu werden. Unter den Intellektuellen in Prag macht eine Vision die Runde: Unter der Aufsicht seines Kollegen und Freundes Ludvik Vaculik befindet sich Havel in der vordersten Reihe.
Veronika Ambros
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