: „Wie dumm waren unsere Großväter...“
■ Für den Palästinenser Faisal al-Husseini ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis der eigene Staat an der Seite Israels Wirklichkeit wird „Wir könnten mit einer Autonomie anfangen“ / Wahlen erst nach dem Rückzug der Israelis / Ein Interview mit Henryk M.Broder
Faisal al-Husseini ist Gründer des arabischen Forschungszentrums in Ostjerusalem, das er auch bis zu dessen Schließung durch die israelischen Militärbehörden im Juli '87 geleitet hatte. Der 54jährige Palästinenser verbrachte in den letzten beiden Jahren insgesamt 18 Monate in der sogenannten Administrativhaft ohne Anklage oder Gerichtsverfahren. Ende Januar wurde er aus dem Gefängnis entlassen, kurz nachdem der israelische Koordinator für die besetzten Gebiete, Shmuel Goren, ihn in der Haft besucht hatte. Letzte Woche führten einige bekannte Politiker der Arbeiterpartei eine Reihe von Gesprächen mit Husseini, der als einer der prominenten, der PLO nahestehenden palästinensischen Persönlichkeiten in den besetzten Gebieten gilt.
Henry M. Broder: Faisal al-Husseini, sitzen wir hier im Hause eines zukünftigen Ministers der Regierung des Staates Palästina?
Faisal al-Husseini: (lacht) Ich glaube nicht. Wenn wir unseren Staat haben, werde ich in meinem Haus leben, auf den Feldern arbeiten, Bäume pflanzen. Und ich werde meine Tätigkeit in der Arab Studies Society fortsetzen und auch im Human Rights Information Center. Das wird meine Arbeit sein, ich werde mich auch im palästinensischen Staat um die Wahrung und Sicherung der Menschenrechte kümmern.
Wie lange wird es dauern, bis Sie Ihren Staat haben?
Ein Jahr bis drei Jahre, schätze ich.
Werden Sie mich reinlassen?
Natürlich! Wir werden allen Israelis erlauben, uns zu besuchen, auch diejenigen, die jetzt hier als Soldaten sind, dürfen kommen. Wo sie jetzt mit Steinen und Molotow -Cocktails empfangen werden, wird man sie willkommen heißen. Vorausgesetzt, sie kommen als Gäste. Als Besatzer wollen wir sie nicht haben.
Sie haben im Laufe der letzten 21 Monate 18 im Gefängnis verbracht, in der sogenannten Administrativ-Haft. Was macht Sie so gefährlich für Israel?
Das frage ich mich auch, und das habe ich die Israelis, die mich in Haft genommen haben, gefragt. Und sie haben mir gesagt, es gäbe Beweise gegen mich, in einer geheimen Akte.
Keine weiteren Einzelheiten?
Bei der ersten und bei der zweiten Verhaftung wurde mir gesagt, ich sei der Anführer der Fatah (der Organisation von PLO-Chef Yassir Arafat, d.Red.) in Jerusalem, der Westbank und im Gaza-Streifen. Aber man hat mir nichts vorgelegt, keine Beweise. Dann, bei der dritten Verhaftung, haben sie gesagt, ich sei der Anführer der Fatah in Jerusalem und in der Westbank. Daraufhin habe ich sie gefragt: Was ist passiert? Was hab‘ ich falsch gemacht? Warum habt ihr mir den Gaza-Streifen weggenommen?
„Wir sollen die Feinde bleiben“
Das letzte Mal wurden Sie verhaftet, zwei Tage, nachdem Sie auf einer Kundgebung von Peace Now gesprochen haben. Die Leute von Peace Now sagen, Sie seien nicht trotz, sondern gerade wegen Ihrer Rede festgenommen worden. Sie haben sich für eine Zwei-Staaten-Lösung des Konflikts ausgesprochen, für einen Staat Palästina neben dem Staat Israel. Glauben Sie auch, dies könnte der Grund für Ihre Festnahme gewesen sein?
Ja. Ich bin zweimal verhaftet worden, umittelbar nachdem ich mit Israelis gesprochen habe, einmal öffentlich bei Peace Now und einmal vertraulich mit Moshe Amirav (einem Mitglied des Likud, der wegen seiner Kontakte zu Palästinensern aus der Partei ausgeschlossen wurde). Das kann kaum ein Zufall sein. Ich hätte mich ohne solche Folgen mit irgendwelchen Linken vom Rand des politischen Spektrums treffen können. Aber ich habe mit Israelis aus der politischen Mehrheitsströmung gesprochen. Und es gibt Leute in Israel, denen das nicht paßt, die so was nicht wollen. Tatsache ist, daß die letzte Verhaftung stattfand, nachdem ich gesagt hatte, ich bin für die Zwei-Staaten-Lösung. Und das hat denen nicht gefallen.
Sie wollen nicht hören, daß es eine Lösung des Konflikts gibt, daß es Palästinenser gibt, die zu einer solchen Lösung bereit sind. Wir sollen die Feinde bleiben, die Israel zerstören wollen. Dann weiß der israelische Soldat, der in die besetzten Gebiete geschickt wird, wofür er kämpft und warum er auf Palästinenser schießen soll.
Sie haben nicht immer so gesprochen. Auch Sie hatten mal einen Traum vom demokratischen, säkularen Staat Palästina. Was ist mit diesem Traum passiert?
Den Traum habe ich noch immer. Aber ich weiß ganz genau, es ist nur ein Traum. Ich weiß, da die Israelis davon nichts wissen wollen, daß sie ihren Staat nicht aufgeben, das Land nicht verlassen werden.
Was hat Sie zu dieser Einsicht gebracht?
Nehmen wir mal an, es gelingt uns, die israelische Armee zu besiegen, ganz Palästina zu befreien und unseren palästinensischen Staat zu etablieren. Und was dann? Was machen wir mit den Juden in Jerusalem, in Tel Aviv und in Metulla? Soll die palästinensische Armee jüdische Häuser durchsuchen und unerlaubte Demonstrationen verhindern? Will ich mir eine Uniform anziehen, eine Waffe nehmen, mich an die Straße Jerusalem-Tel Aviv stellen, jüdische Autos anhalten und durchsuchen, während ich arabische Autos vorbeiwinke...
...was heute umgekehrt Palästinensern passiert, die von Bethlehem nach Hebron fahren...
Eben. Wir hätten wieder ein Besatzungsregime, nur andersrum. Deshalb sage ich: Die Israelis sollen ihren Staat behalten, und wir wollen unseren Staat bekommen. Es muß in Palästina zwei Staaten geben, einen jüdischen und einen arabischen. Und wenn irgendwann mal meine Enkelkinder und die Enkelkinder des Israeli, der gerade in seinem Armee-Jeep an meinem Haus vorbeifährt, zusammenkommen und sagen: Wie dumm waren doch unsere Großväter, laßt uns zusammen was machen, dann kann es eine Union oder etwas ähnliches geben, aber nicht jetzt, jetzt muß jeder seinen eigenen Weg gehen.
Wann haben Sie eingesehen, daß Sie aus praktischen Gründen den Traum von einem Staat im Lande Palästina aufgeben müssen?
Bis 1970 habe ich darauf bestanden, daß es einen säkularen, demokratischen Staat für Juden und Araber in Palästina geben muß. Ende der siebziger Jahre hatte ich diese Haltung aufgegeben.
Nach dem Besuch Sadats in Jerusalem?
Ich glaube, es war schon vorher.
Sie haben im Gefängnis einige Treffen mit Israelis gehabt, darunter auch mit dem „Koordinator für die besetzten Gebiete“, Shmuel Goren. Worüber haben Sie mit ihm gesprochen?
Er kam auf eigene Initiative. Er sagte, er kenne mich nur aus den Akten und wolle gerne den Mann hinter den Akten kennenlernen.
Hat Goren Sie gebeten, Ihren Einfluß geltend zu machen, um die Intifada zu stoppen?
Nein, er hatte keine speziellen Bitten oder Vorschläge, das einzige, was er konkret versucht hat, war, mich davon zu überzeugen, daß es besser wäre, wenn wir unsere Probleme hier, unter uns, lösen würden; warum wir immer nur PLO, PLO sagen würden. Ich habe ihm geantwortet, wir möchten das ganze palästinensische Problem lösen, nicht nur das der Einwohner in den besetzten Gebieten. Das Problem hat nicht erst 1967 begonnen. Jede palästinensische Familie ist geteilt, ein Teil lebt hier, ein Teil lebt irgendwo draußen. An einem Punkt sagte Goren: Wenn ihr euren Staat habt, werden zwei Millionen Palästinenser zurückkommen wollen, wie wollt ihr mit diesem Problem fertig werden?
Was haben Sie ihm darauf geantwortet?
Wir können das Recht auf Rückkehr nicht aufgeben, aber wie wir es in die Praxis umsetzen, darüber kann man verhandeln. Ob eine Anzahl Palästinenser in ihre alten Häuser zurückkehrt, ob man neue Häuser in Israel für sie baut oder ob man ihnen eine Entschädigung zahlt - darüber kann man verhandeln.
Derweil macht sich Israel große Sorgen um sein Ansehen nach über einem Jahr Intifada. Einige Politiker, zuletzt Verteidigungsminister Rabin, denken laut über die Möglichkeit eines „Waffenstillstands“ nach, eine Ruhepause in der Auseinandersetzung. Kann man die Intifada anhalten?
Die Intifada ist nicht nur ein Aufstand gegen die Besatzung, ist nicht nur Demonstrieren und Steine werfen. Die Intifada ist die Bewegung des palästinensischen Volkes auf einen palästinensischen Staat hin. Es ist eine innere Haltung. So etwas kann niemand anhalten und niemand wird es versuchen. Was die Folgen der Besatzung angeht, die Demonstrationen, das Steinewerfen - darüber können wir reden. Wir haben es in den besetzten Gebieten nicht nur mit Palästinensern zu tun. Da ist auch die israelische Armee, da sind die Siedler. Es gibt eine Menge Provokation gegenüber den Palästinensern.
Was würde Israel als ersten Schritt unternehmen? Würde eine Erklärung des guten Willens reichen?
Was die Situation hier sofort beruhigen würde, wäre eine Erklärung der israelischen Regierung: Wir sind bereit, mit der PLO zu verhandeln. Es genügt nicht, wenn Jossi Sarid (Abgeordneter der Opposition) so etwas sagt.
Was ist mit der sogenannten Autonomie? Könnte damit nicht ein Prozeß in Gang gesetzt werden?
Unser Kampf hat nicht erst gestern begonnen, wir kämpfen schon 70 Jahre für einen palästinensischen Staat. Wenn wir nun über Lösungen reden, dann müssen wir zuerst wissen, was ist das Ziel? Was wollen wir erreichen? Das Ziel ist ein palästinensischer Staat. Über den Weg dahin können wir diskutieren. Wie wir dahin kommen? Wir könnten mit einer Autonomie anfangen, dann müßten wir über die Dauer der Autonomie verhandeln oder über ein UN-Mandat für eine Übergangszeit und so weiter.
Und Wahlen?
Israel weiß ganz genau, wenn es morgen Wahlen in den besetzten Gebieten geben würde, würden PLO-Leute gewählt werden und die würden dann sagen: Ihr müßt mit der PLO reden. Aber unter den Bedingungen der Besatzung kann es keine Wahlen geben. Es wäre sogar für Israel besser, zuerst mit der PLO zu reden und sich dann erst aus den Gebieten zurückzuziehen. In jedem Falle wird es vor einem Rückzug der Israelis keine Wahlen geben.
Der ehemalige Zivilgouverneur der Westbank, Ephraim Sneh, hat mir vor ein paar Tagen erklärt, Isarel könnte die Palästinenser gegen deren Willen nicht endlos beherrschen. Gehört so ein Statement zu den positiven Tendenzen, die Sie erwähnt haben?
Unbedingt. Dieser Prozeß hat schon vor einer Weile begonnen. Ich war Mitglied im „Komitee gegen die eiserne Faust“, es war ein israelisch-palästinensisches Komitee gegen die Besatzungspolitik, und das wichtigste daran war, daß wir die Besatzung nicht nur wegen der Palästinenser bekämpften, sondern auch um der Israelis willen.
Palästinenser drinnen und draußen
Haben die Palästinenser, die hier leben unter der Besatzung, eine andere Einstellung als die Palästinenser draußen, die Politik machen?
Sie können auch unter den Palästinensern hier sehr verschiedene Einstellungen finden. Vielleicht habe ich mehr Gemeinsamkeiten mit Bassam Abu Sharif als mit meinem Cousin, der hier um die Ecke lebt. Wenn Sie aber von der politischen Führung sprechen, von der PLO als einer Körperschaft, dann ist der Unterschied zwischen uns und denen ein anderer: Wir leben hier mitten im Wald, im palästinensischen Wald, ich kann die Bäume sehen, ich kann sie unterscheiden, aber ich kann den Wald nicht überblicken. Die politische Führung kann das, sie ist weiter weg. Sie kann entscheiden, was zu tun ist, nicht nur aufgrund meiner Erfahrungen, sondern aufgrund der gesamten Lage.
Könnte es sein, daß die Palästinenser, die hier leben, pragmatischer sind als diejenigen, die draußen leben?
Die Israelis kümmern sich glücklicherweise um dieses Problem. Sie sorgen dafür, daß die Führung der PLO auf dem laufenden gehalten wird darüber, was hier vorgeht, daß sie frisches Blut bekommt. Sie haben im Laufe der Intifada 48 Palästinenser aus den besetzten Gebieten deportiert, und die haben sofort Positionen in der politischen Führung übernommen. Man kann also nicht sagen, es gäbe eine Kluft zwischen uns hier und denen dort.
Viele Israelis sagen: Okay, Arafat mag seine Leute unter Kontrolle haben, was ist aber mit den Gruppen, die er nicht kontrollieren kann, die nicht auf ihn hören?
Es gibt bei den Palästinensern, wie überall bei allen Völkern, alle möglichen Richtungen. Nur vergessen Sie nicht: Leute ändern ihre Positionen. Diejenigen, die nicht pragmatisch sind, können es werden, wenn sie Verantwortung übernehmen müssen. Ich habe keine Angst vor denjenigen, die gegen meine Politik sind. Vor allem, wenn ich meinen eigenen Staat habe, wenn wir Gesetze und Regeln haben, können wir mit solchen Problemen fertig werden. Ohne einen Staat haben diese Leute viel mehr Bedeutung, können mehr Probleme schaffen. Ein Staat schafft einen bestimmten Rahmen, in dem man Entscheidungen treffen muß.
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