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Kampf um 100.000 Energiearbeiter

Organisationsstreit zwischen IG Bergbau und ÖTV verschärft / IGBE: Wir sind die Energiegewerkschaft und beanspruchen den gesamten Bereich der Energieerzeugung / ÖTV: Wir sind nicht die Caritas  ■  Von Martin Kempe

Berlin (taz) - Die Industriegewerkschaft Bergbau und Energie (IGBE) wirft der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) offen den Fehdehandschuh zu. Gegenüber der taz erhob IGBE-Sprecher Norbert Römer den Anspruch, der gesamte Bereich der Energieerzeugung mit seinen rund 100.000 Beschäftigten, der bisher in den Organisationsbereich der ÖTV fällt, gehöre eigentlich in die Zuständigkeit seiner Gewerkschaft. Damit hat der Streit innerhalb des DGB um die gewerkschaftliche Atom- und Energiepolitik eine neue, innergewerkschaftlich brisante Facette erhalten.

Römer erklärte gegenüber der taz unmißverständlich: „Die Energiegewerkschaft in Deutschland ist die IGBE.“ Das ergebe sich schon allein aus ihrem Namen. Es sei durchaus möglich, daß die IGBE aufgrund ihrer Satzung gerichtlich dazu gezwungen werden könnte, Beschäftigte aus Kraftwerken bei sich aufzunehmen, obwohl sie nach den bisher geltenden Organisationsgrenzen bei der ÖTV Mitglied werden müßten. Es gebe in dieser Frage zwischen ÖTV und IGBE einen „offensichtlichen Gesprächs- und Regelungsbedarf“. Es müßten Grundsatzfragen über die Zuständigkeit im Energiebereich geklärt werden. Ziel müsse eine Regelung sein, die „unterm Strich den Gewerkschaften mehr Mitglieder bringt“, als sie bisher von der ÖTV organisiert werden.

Entzündet hatte sich der Streit im Dezember an dem öffentlich geäußerten Verlangen von 140 ÖTV-Mitgliedern des Atomkraftwerks Biblis, zur IGBE überwechseln zu können. Sie hatten damals erklärt: „Wir fühlen uns durch die ÖTV nicht mehr vertreten.“ Offensichtlich stört die Atomwerker von Biblis, daß sie in der ÖTV-internen Auseinandersetzung um den Atomausstieg den Kürzeren gezogen haben und ihre Gewerkschaft sich letztlich eindeutig auf die Beschlußlage des DGB festgelegt hat. Die IGBE betonte zwar jetzt gegenüber der taz, auch sie stehe ohne Wenn und Aber zum Ausstiegsbeschluß des DGB-Kongresses von 1986. Aber noch auf dem IGBE-Kongreß vom letzten November hatte ihr Vorsitzender Hans Werner Meyer betont: „Eine Korrektur und Revision muß möglich sein.“

Der Streit um die Mitglieder wird hinter den Kulissen mit harten Bandagen ausgetragen. In der letzten Woche ließ die ÖTV in einer Erklärung verlauten: Die ÖTV „bleibt zuständige Gewerkschaft für die in der öffentlichen und privaten Versorgungs- und Energiewirtschaft beschäftigten Arbeitnehmer“. In einem Gespräch mit der IGBE habe man sich in der zweiten Februarwoche darauf geeinigt, „daß aufgrund der bestehenden Organisationsabgrenzung kein Mitgliederwechsel von der IGBE zur ÖTV stattfinden kann“. Richtig, erklärte die IGBE dazu gegenüber der taz: Aufgrund der jetzigen Grenzziehungen sei dies nicht möglich. Aber über eben diese Grenzziehungen gebe es entgegen der ÖTV -Verlautbarung keinesweg Einigkeit.

Die ÖTV beruft sich darauf, daß die bisherige Grenzziehung keinen Zweifel über ihre Zuständigkeit für den Bereich der öffentlichen und privaten Energieerzeugung lasse. Der Terminus dafür heißt „leitungsgebundene Versorgungswirtschaft“. Dies bedeutet: Primärenergieerzeugung, z.B. Kohleförderung, gehören zur IGBE, Kraftwerke zur Stromerzeugung und die Verteilernetze gehören zur ÖTV. Die ÖTV ist der Ansicht, sie habe bisher die Interessen der dort Beschäftigten „hervorragend vertreten“, die Löhne seien überdurchschnittlich hoch, die Arbeitsbedingungen außerordentlich gut. Es gebe überhaupt keinen Grund, den Energiebereich an eine andere Gewerkschaft abzugeben, auch nicht an die wegen der Kohlekrise laufend unter Mitgliederschwund leidende IGBE. ÖTV-Sprecher Hillgärtner: „Wir sind nicht die Caritas für die IGBE.“

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