„Lieber wichsende Richter...“

■ 7.000 auf der zweiten Großkundgebung gegen den Abtreibungsparagraphen 218 in Memmingen / Viel Beifall für Magdalena Federlin, die als einzige gegen den Schuldspruch des Memminger Gerichts in die Berufung ging

Berlin (taz) - Die zweite Großkundgebung gegen den §218 erlebte bei strahlendem Sonnenschein das Allgäustädtchen Memmingen am vergangenen Samstag. 7.000 DemonstrantInnen zogen durch die engen Straßen der Innenstadt, um ihre Solidarität mit dem in den „Memminger Hexenprozessen“ angeklagten Frauenarzt Horst Theissen und den verurteilten Frauen auszudrücken. Der 25. Februar war als Termin für diese Demonstration gewählt worden, weil genau 14 Jahre zuvor das Bundesverfassungsgericht die von der damaligen SPD/FDP-Koalition beschlossene Fristenlösung verworfen hatte. Nach diesem Richterspruch aus Karlsruhe wurde das Indikationsmodell eingeführt, das die Memminger Prozesse, bei denen es um die Legitimation der Notlagenindikation geht, erst möglich macht.

„Lieber wichsende Richter als richtende Wichser“, hieß es dann auch auf einem der zahlreichen Transparente, wobei offen blieb, ob damit die Robenträger in Karlsruhe oder in Memmingen gemeint waren. Organisiert vom Frauenbündnis Bayern, in dem sich 40 Frauengruppen zusammengeschlossen haben, kamen Frauen aus der gesamten Bundesrepublik, aus Belgien und aus der Schweiz.

Auf der Kundgebung in der Memminger Stadthalle forderte Gudrun Hamacher, Mitglied im Vorstand der IG Metall, den Prozeß gegen Theissen und die Frauen sofort einzustellen. „Gutsituierte Männer maßen sich hier an, über Lebenssituationen von Frauen zu richten, deren Beurteilung der Gesetzgeber allein in die Kompetenz des Arztes gelegt hat“, sagte Hamacher.

Die bayerische Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF), Ursula Pausch-Gruber, wertete die Verfassungsklage Bayerns als „zynischen Versuch der CSU, Wähler vom rechten Rand zurückzuholen, und das auf dem Rücken der Frauen“. Auch der Landesparteitag der SPD in Augsburg verurteilte die geplante Klage als „unsinnig“ und erklärte sich solidarisch mit den DemonstrantInnen in Memmingen. Der Bundesvorstand der Grünen hatte seine Sitzung nach Memmingen verlegt, um an der Demonstration teilnehmen zu können.

Einen begeistert beklatschten Beitrag auf der Kundgebung hielt Magdalena Federlin, die als einzige gegen ihren Schuldspruch in Berufung ging und dabei vor dem Landgericht Memmingen freigesprochen wurde. Gegen diesen Freispruch legte die Staatsanwaltschaft Revision ein. Magdalena Federlin zitierte aus der 14 Seiten umfassenden Revisionsbegründung. Da fordern die Staatsanwälte, daß mehr Zeugen hätten gehört werden müssen, so zum Beispiel der Kreditsachbearbeiter der örtlichen Sparkasse. Dieser müsse befragt werden, ob die Sparkasse im Falle eines zweiten Kindes die Zinszahlungen von Magdalena Federlin (sie war nach Eröffnung ihres Naturkostladens hochverschuldet) nicht herabgesetzt oder zeitweilig ausgesetzt hätte. Dazu Magdalena Federlin: „Da wär ich hin und hätte gesagt: 'Ich bin wieder schwanger‘, und die sagen gleich: 'Ja klar, Frau Federlin, jetzt brauchen sie ihr Geld für ihr Kind und müssen keine Zinsen mehr zahlen'“.

Gunhild Schöller