: Kopf- und Fußarbeit
Sportler wenden sich den schönen Künsten zu ■ PRESS-SCHLAG
Zu den seligen Zeiten, als Fußball noch nicht allein aus Kampf und Krampf bestand, in den 70er Jahren etwa, kreierte auch der Herr Loriot einmal ein hübsches Filmlein zum Thema. Es hieß Philosophen-Fußball und zeigte eine Horde altgriechisch gewandeter Denkergestalten mit wallenden Bärten, die auf einer Wiese herumwandelten, lange über das herniederliegende Stück Leder sinnierten, bis sie es in Einheit von Fuß und Kopf leibhaftig in eines der Tore hineinzutreten wußten. Dies war die Erfindung des Spiels, das uns heute noch so sehr am Herzen liegt. Es geht also, theoretisch jedenfalls, auch anders: Sport, Fußball zumal, läßt sich mit Kultur verbinden.
Was aber macht ein Sportler, dem der Tritt nach Luft und Leder zu wenig ist? Kann man ganz praktisch und in Eigenregie die Kluft zwischen Leibesübung und schöpferischer Tätigkeit füllen? Ja, man kann. Da ist erst einmal das rennende Berliner Großmaul Matthias Schlicht zu nennen, der Erfüllung in der Malerei findet. Nach seinem Vize -Europameistertitel über 60 Meter in der Halle vermeldete Schlicht schlicht: er werde es allen noch zu zeigen wissen, „daß ich genauso gut malen kann wie laufen“. Am Freitag vor dem Berliner Springermeeting stellte er im Foyer aus: Bilder von Blumensträußen, wogender See, schneebedeckten Berggipfeln und palmengeplagten Stränden, wie sie sich kein Hirsch übers Sofa hängen würde. Das Selbstbewußtsein des schnellen Künstlers strotzte dafür weiter im Überfluß: zu 100 Prozent - „nein, nicht zu 99, zu 100“ - habe er die Stimmung der Insel Mauritius getroffen. „Da bin ich ganz sicher“.
Schlicht ist kein Einzelfall, denn kreatives Schaffen von Sportmenschen scheint Mode zu werden, auch unter Fußballern. Unsere besondere Aufmerksamkeit verdient Robert Jüttner, ein Kicker des Berliner Zweitligisten Hertha BSC: er dichtet. Nicht, indem er Räume eng macht, wie das Fußballerart ist, sondern er tut es in der Tat mit Worten: der Mittelfeldler schreibt Poeme und Verse, soeben in einem kleinen Berliner Verlag erschienen. Es geht indes nicht um sportliche Körperübungen, sondern allein um Liebe, Glauben, Freundschaft. „Schreiben“, sagt der Hobbylyriker, sei eben „ein gutes Gegengewicht zum Fußball.“
Es kann ein Übergewicht werden, denn ungeahnte Gefahren schlummern dort, wo trickreiches Fersen- zu Versespiel wird. Ein Vorfall aus Aachen möge die Hertha mahnen. Dort hat sich Jürgen Nendza, Mittelstürmer des Bunte-Liga-Teams „Juventus Senile“ und soeben zu Aachens Fußballer des Jahres 1988 gewählt, ebenfalls den Dichterkünsten verschrieben. Bei einer Autorenlesung trug der Alternativkicker, der zu allem Überfluß auch noch in Philologie und Philosophie promoviert, kürzlich eigene Texte vor. Zunächst ein Stück Fußballprosa, dann ein Liebesgedicht. Als sich sein Liebespaar gerade genüßlich zu Bette vergnügte, wollte Nendza sagen: „Er hatte den eigenen Schrei noch im Ohr“, war mit seinen Gedanken aber noch bei seiner Balllyrik, und las zum großen Vergnügen der ZuhörerInnen “...den eigenen Schrei noch im Tor“. Schon bald nach der Verwechslung setzte es Warnungen seiner Mitspieler, umgekehrte Fehlschlüsse beim Torjubel auf dem Spielfeld zu unterlassen. Bislang ging es gut, ohne Ohrjubel.
In diesem Sinne sollte sich also Herthas Jüttner eindringlich warnen lassen. So sehr die Kulturbeflissenheit im Fußballsport zu begrüssen ist, so wenig lassen sich Abstiegssorgen wegdichten. „Ohne Dein Schweigen“ heißt sein Werk übrigens - und gemahnt mit seinem Titel sogleich an den alten Lateinerspruch: „Wenn du geschwiegen hättest, wärest du ein Philosoph geblieben.“ Dichter und Denker, auch Philosophen mögen - siehe Loriot - den Fußball erfunden haben, ob sie ihn mit mehr Esprit und Erfolg auszuführen wissen, muß mit Bedacht weiterverfolgt werden.
Bernd Müllender
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