: ÜBERLEBEN NUR GEMEINSAM MÖGLICH
■ Hungerstreik für Zusammenlegung
Ich befinde mich ab sofort im Hungerstreik und schließe mich damit dem Streik der Gefangenen GenossInnen aus der RAF an.
Momentan befinde ich mich - im direkten Anschluß an mehrjährige Strafhaft - in U-Haft, und ich bin nicht politischer, sondern sozialer Gefangener. Während meiner Haft habe ich im Knast u.a. 1981 und 1984/85 an den Streiks für die Zusammenlegung teilgenommen, und für mich bedeutete dies nicht nur Solidarität mit den kämpfenden GenossInnen, sondern auch die materielle Forderung nach Zusammenkommen auch für mich selbst. Es hatte auch nicht nur damit zu tun, daß ich über jetzt zehn Jahre hinweg Zensur, Bespitzelung und Isolation selbst erfuhr, daß die verschiedenen Versuche des Staates und auch anderer, die Identität zu brechen, auch mir gegenüber liefen. Es war einfach die auch praktische Fortsetzung meiner Entwicklung, meines Lern- und Lebensprozesses als politisch denkender und handelnder Mensch. Dieser Prozeß war nicht ohne Probleme, Rückschläge und Phasen von Schwäche - aber gerade deshalb war und ist für mich klar, daß eben das, nämlich die Möglichkeit der gemeinsamen Entwicklung und Auseinandersetzung sozial und politisch untereinander, zusammen - und so also auch die Entwicklung gemeinsamer Politik - auf diesem Terrain nur durch das Zusammenkommen wirklich möglich ist. Es ist immer wieder spürbar: es geht nur zusammen und kollektiv, das ist nichts als existenzielle Voraussetzung auch für das Überleben als Mensch mit seiner politischen Identität. Und ich habe immer mehr gespürt und gewußt - und dies ist in der Auseinandersetzung unter uns Gefangenen, soweit sie halt unter diesen Bedingungen möglich war, nur noch klarer geworden -, daß es auch für mich nur diesen Weg gibt. Meine Erfahrung war und ist, daß ich immer dann, wenn es Phasen von Unklarheit oder Schwäche gab, an einen Punkt kam, wo es ganz subjektiv, innen drin, einfach klar war, nichts anderes wirklich vorstellbar. Oft war es sogar eher so, daß das Spüren und Begreifen dieser existenziellen Notwendigkeit dazu führte, daß ich zuviel wollte und alles sofort, weil es doch eigentlich klar war und mich dann selbst überschätzte oder Notwendiges außer Acht ließ.
In den Zeiten, die ich im Normalvollzug verbrachte derzeit gelten auch für die U-Haft verschärfte Bedingungen -, versuchte ich, auch mit anderen sozialen Gefangenen direkt politisch zu arbeiten, mußte aber immer wieder erkennen, daß dies so nicht möglich war. Weil nichts wirklich zusammen ging, aber gerade auch, weil die Bedingungen für alle kämpfenden Gefangenen immer ein abgestuftes Instrumentarium von Sonderhaftbedingungen sind. Der vom Staat wie auch anderen propagierte Normalvollzug war nie etwas anderes als die geplante Zerstörung der Identität
-wie ich auch selbst während der zehn Jahre, in denen sich Isolation und Normalvollzug abwechselten, erfuhr. Mit beidem und immer wird das gleiche Ziel verfolgt, und dagegen gibt es nur die Zusammenlegung, das Zusammenkommen als „zweitbeste“ Lösung nach der Freilassung. Und auch wenn meine Geschichte anders ist, meine Entwicklung anders lief, nur das ermöglicht Entwicklung und neue Bestimmung, weiterkommen, für jeden selbst und damit auch revolutionärer Politik. Und genau das ist es, was ich will, ist die Entwicklung, als deren Teil ich mich begreife. Das, was die GenossInnen als Gefangene aus der RAF dazu gesagt haben. Und deshalb sind diese Forderungen auch meine, ist dieser Kampf auch mein Kampf, etwas anderes nicht wirklich vorstellbar, anders gesagt: nicht nur die Notwendigkeit, es geht für mich nicht anders - oder es wäre Selbstaufgabe. Es geht nicht nur um mich, es geht um uns und um revolutionäre Politik. Und auch, wenn ich noch viel zu lernen habe: das ist meine Identität, mein Leben. So einfach ist das. Und alles weitere werden wir alle, die wir dafür kämpfen, zusammen bestimmen und entscheiden.
Jens Stuhlmann
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