: Musik zum Zöpfeabschneiden
■ Die Ausstellung über die Ausstellung „Entartete Musik“ für fünf Wochen in Bremen Über die Austreibung der musikalischen Moderne aus Nazi-Deutschland
Entartete Musik, die ist aus der Art geschlagen. Die hat sich von der eigenen Art abgelöst. Ist wie ein Phönix aus der Asche aufgestiegen. (Den Begriff einer arteigenen Musik assoziieren wir auf Grund von Erfahrungstatsachen und auch unwillkürlich mit blonden Zöpfen, Gaskammern, Mördern, schlechthin mit der Norm). In der Kunst gilt nur die Überwindung der Norm, also die Nicht-Norm, die Entartung: mit ihr fängt Kunst überhaupt erst an zu tönen, zu leuchten, zu sein.
Hans Werner Henze, Komponist, 1987
Ein wichtiger Bereich, in dem die Politik der Nazis derjenigen ihrer Widersacher überlegen war, ist der ihrer Kulturpolitik. Sobald sie über die Macht dazu verfügten, machten sie sich ans Werk, die Kulturprodukte, die ihnen selbst gefielen, kräftig zu fördern und diejenigen, die ihren Spießergeschmäckern zuwiderliefen, die Existenzmöglichkeiten zu entziehen bzw ihre Produzenten direkt zu liquidieren oder mindestens ins Exil zu treiben.
Im Jahre 1938 veranstalteten sie in Düsseldorf, das Goebbels als „Reichshauptstadt der Musik“ vorgesehen hatte, eine Ausstellung „Entartete Musik“, in der die musikalischen Feindbilder der Nazis alle zusammen an eine Wand gehängt wurden. In ihrer einzigartigen Synthese aus Dummheit und Geschick machten
sie den „jüdischen Einfluß“ zum Kriterium ihrer Verdammung der Entwürfe modernen Musikschaffens. Mit dieser recht holprigen Begründung boten sie dem gesunden deutschen Volksempfinden Befreiung von unverdaulichen Klängen, wofür dieses fleißig akklamierte.
Die Zwölftonmusik Schönbergs, wie der affige Jazz, wie die proletarische Kunstmusik Eislers, wie eine Szene in einem der
Hindemithschen Einakter, die den Führer dem Bild einer unbekleideten Dame aussetzt, alles, was vom geraden Weg der hehren Kunst, die nach Hitler hervorragend geeignet sei, „den kleinen Nörgler zum Schweigen zu bringen“, abweicht, führt zu dem vernichtenden Vorwurf, der sich selbst beweist: jüdisch. Jüdisch geboren, jüdisch geliebt, einen Juden von weitem gesehen, einen jüdischen Lehrer gehabt, schon
einmal in Rußland gewesen oder einen Sonnenbrand gehabt, alles jüdisch. Und wer von Juden ißt, der stirbt daran, so lautet eines der Motti der Ausstellung „Entartete Musik“
50 Jahre danach erarbeiteten die Düsseldorfer Symphoniker eine kommentierte Rekonstruktion dieser Ausstellung, die nun, nach einjähriger Wanderschaft, auch Bremen erreicht. Im hiesigen Staatsarchiv sind für fünf
Wochen die Dokumente von damals neben Kommentaren von heute zu sehen. Die antiquierte Reklameästhetik der Nazis wird es den heutigen Musikfreunden leicht machen, die Aufführungen von Musikstücken, die seinerzeit der verordneten Empörung präsentiert wurden, ohne schlechtes völkisches Gewissen zu genießen.
Eine kleine Minderheit werden sie sein, denn im Kern ist das faschistische Programm der Ausschaltung derjenigen Musik, die sich vom durchschnittlichen Erbauungsgeschmack des Spießers abhebt, nach wie vor massenpopulär. Früge man meinen Papa, den Durchschnittsmenschen, jederzeit wäre er bereit, sämtliche Werke der damals geschaßten Komponisten zu verbrennen. Angesichts der Leichtigkeit, mit der man die seltenen Aufführungen dieser störenden Klänge umgehen kann, wäre es ihm aber noch nicht einmal ein Bedürfnis.
Zu gönnen wäre der Ausstellung und den damit verbundenen Musikvorführungen jedoch ein breiteres Publikum, schon weil sich die warme Intimität einer Hindemithschen Sinfonie immer noch angenehmst vom Einerlei der täglichen Harmonieberieselung abhebt und weil es nach wie vor notwendig ist, die Entartung zu verbreiten.
Step Hentz
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