piwik no script img

Zwischen Zensur und Provinzposse

■ Vor drei Tagen ist ein kulturgeschichtliches Buch über das Künstlerdorf Worpswede erschienen: Die Erben von Otto Modersohn haben dem Kölner Verlag DuMont die Abbildungs- und Zitatrechte verweigert

Für einen Fremden muß das Land im Frühjahr und Herbst äußerst ungesund sein. Die Einwohner sind schneckenartig, bleich von Farbe, weich von Fleisch und eingeschrumpft. Das Volk ist unempfindlich, schwerfällig, finster und zum Teil auch unreinlich. (Rolf Metzing)

Worpswede: Am 21.7. 1218 beginnt die Geschichtsschreibung des kleinen Dorfes Worpswede, die Geschichte eines „Weltdorfes“, wie es die heutigen Bewohner gerne sehen. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ist Worpswede ein unbeachteter Siedlungsflecken geblieben, obwohl seit dem 12. Jahrhundert die Sumpf-und Marschgebiete mit dem

schweren Moorboden zwischen Weser und Wümme durch verbesserte Anbaumethoden kultiviert wurden. Aus acht Bauernhöfen bestand das Dorf zu Beginn des 13. Jahrhunderts, und an dieser Größe änderte sich jahrhundertelang nichts. Ein Flecken abseits der Weltgeschichte.

Mitte des 18. Jahrhunderts begann die staatliche Kolonisation des Teufelsmoors. Vor der Gründung der Künstlerkolonie Worpswede 1889 gilt sie als das herausragendste Ereignis in der Geschichte des kleinen Dorfes.

Was hat die MalerInnen Fritz Mackensen, Hans am Ende, Heinrich Vogeler, Paula Modersohn-Becker, Otto Modersohn und Fritz Overbeck bewegt, sich

auf diesem gottverlassenden Fleckchen Erde niederzulassen, um ein Künstlerdorf zu gründen, das noch heute Pilger aus aller Welt anzieht? Ein Dorf, von dem Rainer Maria Rilke sagte, es ist ein seltsames Land. Wenn man auf dem kleinen Sandberg von Worpswede steht, kann man es ausgebreitet sehen, ähnlich jenen Bauerntüchern, die auf dunklem Grund Ecken tief leuchtender Blumen zeigen. Flach liegt es da, fast ohne Falte, und die Wege und Wasserläufe führen weit in den Horizont hinein.

Die Bremer Kunsttheoretiker Michael Zeiss und Guido Boulboulle wollten es wissen. Die Idee, eine Kulturgeschichte Worpswedes zu schreiben, und Gründe für die künstlerische Besiedlung zu finden, ist aus einer Veranstaltung im Studiengang Kunst/Visuelle Kommunikation an der Uni Bremen hervorgegangen, Der Worpsweder Verlag war an der Veröffentlichung der Materialsammlung, die Zeiss und Boulboulle gemeinsam mit StudentInnen erarbeitet hatten, nicht interessiert, der Kölner Verlag DuMont machte eine Zusage und legte vor allem Wert auf Bilder für den Dokumenationsteil.

Hier begannen die Schwierigkeiten. Der rechtmäßige Erbe von Otto Modersohn, Sohn Christian Modersohn, wollte „zuerst wissen, was in den Kapiteln drinsteht“, bevor er die Rechte für die Veröffentlichung der Gemälde Otto Modersohns freigab. Eine ungewöhnliche Verfahrensweise, aber Michael Zeiss und Guido Boulboulle schickten ihm das Manuskript zu. Weil das Verhältnis zwischen Otto Modersohn und Paula Modersohn-Becker „falsch dargestellt wurde“, wie Christian Modersohn monierte - eben nicht so harmonisch wie gerne von der Erbengemeinschaft

gesehen, - verweigerte der Sohn dem Verlag für das Buch die Abbildungs- und Zitatrechte, obwohl ihm die Möglichkeit eingeräumt wurde, seine Sicht dieser Ehe ausführlich in dem Buch darzustellen. Ein kleiner Hinweis im Vorwort, Bilder von Otto Modersohn sind in diesem Buch nicht enthalten, da die Erben leider die Widergabe verweigerten, dokumentiert einen langen Streit, einen ebenso langen Briefwechsel, an

dessen Ende die Autoren auf Bilder und Zitatmaterial verzichtet haben. „Daß die Erben vorschreiben, was über jemanden geschrieben wird, ist für uns eine Zensur und eine enorme Geschichtsfälschung“, klagt Michael Zeiss.

Das Buch „Worpswede. Kulturgeschichte eines Künstlerdorfes“ ist gerade ausgeliefert worden. Für 36 Mark ist es in jedem Buchhandel zu kaufen.

Regina Keichel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen