: Nur Spatz für Schuldner
■ Private Schulden immer noch keine öffentliche Aufgabe
Zehn Prozent aller BremerInnen leben von der Sozialhilfe. Und wer erst einmal auf diese Unterstützung angewiesen ist, hat in der Regel Schulden. Das zumindest ist die Erfahrung der Umschuldungsberater des Selbsthilfevereins „Solidarische Hilfe“:“ Wir bearbeiten Fälle von Leuten, die sich mit 25, manchmal 50 Gläubigern auseinandersetzen müssen und mit vielen Zehntausendern in der Kreide stehen. Es kommen aber auch Leute, die sind nicht in der Lage, die 40 Mark fürs Schwarzfahren zu bezahlen. Wenn so ein Betrag erst an ein Inkasso-Büro weitergegeben wird, dann werden daraus binnen einem Jahr durch erhöhte Zinsen und dubiose Gebühren leicht 140 Mark.“
Es ist durchaus nicht unüblich, daß Gläubiger ihre Forderungen gegen 1o Prrozent der ursprünglichen Summe an diese Büros abtreten. Und die haben andere Methoden als die Sparkasse: „Sie verschaffen sich durch agressives Auftreten Zutritt in Wohnungen; schauen sich dort nach pfändbaren Gegenständen um; sie setzen Verwandte unter Druck, indem sie drohen, daß der Schuldner ins Gefängnis kommt, wenn sie nicht einspringen.“
Ein einziger Blick ins Branchenfernsprechbuch zeugt von einer florierenden Branche: Allein in Bremen gibt es über ein Dutzend Büros. Aber nicht nur diese Inkassos zeigen Härte. Die Schuldenberaterin: “ Am kompromißlosesten hier in Bremen sind die Stadtwerke. Die haben einer Klientin mit einem sechs Wochen alten Säugling den Strom abgedreht.“
Der Traum der Selbsthilfegruppe ist ein Fond für die Schuldenregulierung. Mit solch einem Modell kam man in Hamburg zu sehenswerten Ergebnissen. Das Prinzip: Der Fond übernimmt die Forderungen, schießt Geld für die Schuldner vor und befriedigt die Gläubiger, die sich oft mit einem Drittel der Summe begnügen, „weil ein Spatz in der Hand immer noch besser ist als die Taube auf dem Dach“ - sprich der unvollstreckbare Titel.
Der Sozialsenator hat die Notwendigkeit eines solchen Fonds anerkannt. Aber da ist ja noch der Justizsenator, der Kompetenz anmeldet, weil Schuldenregulierung ja Rechtsberatung sei. Und dann ist da auch noch der Finanzsenator, der meint, Handel und Industrie seien auch gefordert. Und so bleibt es vorläufig beim Kompetenzstreit.
Selbst ob wenigstens die Schuldenberatung überhaupt weitergeführt werden kann, ist fraglich, denn die Einjahresverträge der BraterInnen laufen im Sommer ohne Aussicht auf Verlängerung aus.
FWG
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