: „Das Schwert ist mächtiger als die Feder“
Ein Gespräch mit Dr.Shabbir Akhtar, in Bradford lebender islamischer Gelehrter, Doktor der Philosophie (Cambridge) und Autor mehrerer Werke zum Verhältnis von Moderne und Islam ■ I N T E R V I E W
taz: Warum ist der Islam so schwach, daß er diese Verunglimpfung Mohammeds und des Koran mit einer Morddrohung beantworten muß?
Akhtar: Zunächst einmal: Wenn der Islam als eine der intellektuellsten Religionen, die seine gesamten Inspirationen aus einem Buch bezieht, nun der Bücherverbrennung beschuldigt wird, dann ist dies eine paradoxe Situation. Wenn der Westen übrigens auf den geschichtlich befrachteten Akt einer Bücherverbrennung so überreagiert, dann ist das sein Problem, nicht unseres. Der Koran ist einzigartig, weil die gesamte islamische Zivilisation auf diesem einen Buch beruht. Deswegen nehmen die Moslems jeden Angriff auf die Authenzität und Integrität dieses so mächtigen Buches - wie Rushdies Versuch - sehr ernst. Denken Sie daran, daß der Titel Satanic Verses den Koran als ein Werk des Teufels darstellt!
Aber warum lassen Sie Rushdie denn nicht einfach Rushdie sein?
Eine Religion, die, wenn etwas falsch ist, ihre Fähigkeit, militant, wütend und zornig zu sein, verliert, diese Religion ist für den Abfalleimer bestimmt. Eine Religion kann ihr Erbe nicht bewahren, wenn sie diese innere Wut nicht mehr besitzt. Religionen sind wie Menschen. Der Islam ist mit seinen 1.400 Jahren eine im Vergleich zum Christentum noch junge Religion. Deswegen hat er noch ein hohes Selbstbewußtsein, und er will dieses Wissen um seine eigene Stärke gegenüber einer Gesellschaft behaupten, die auf eine sehr aggressive Weise säkular ist.
Das von ihnen als schwach abqualifizierte Christentum scheint aber zumindest in jüngster Zeit dazu in der Lage sein, sämtliche blasphemischen Angriffe hinzunehmen.
Wir müssen hier zwei Dinge unterscheiden: das persönliche Verletztsein und den ideologischen Angriff. Die Leute sagen zu mir als Moslem, warum kannst du Rushdie nicht vergeben. Ich als Einzelperson vergebe ihm, der Islam empfiehlt mir sogar, dies zu tun. Aber er erlaubt nicht, die ideologische Attacke auf sich beruhen zu lassen. Ich denke, die britischen Moslems sind in dieser Hinsicht in den letzten Jahren zu tolerant gewesen. Das mag sich angesichts der Verbrennung des Buches seltsam anhören, aber ich glaube, der Islam muß hier im Westen aufpassen, daß er diese militante Wachsamkeit nicht verliert, sonst wird auch er das Schicksal seiner beiden monotheistischen Schwesterreligionen erleiden.
Wird dieser ganze Konflikt zu einer Politisierung der moslemischen Minorität in Großbritannien führen?
Durchaus. Die moslemische Gemeinde hat schon seit einiger Zeit begriffen, daß sie sich ihr Überleben durch eine Teilnahme am demokratischen Prozeß erkämpfen muß. Natürlich gibt es hier in England große Widerstände gegen den Aufstieg von Moslems in Machtpositionen. An den Universitäten beispielsweise lehren Christen Theologie, Juden den Judaismus, nur keine Moslems den Islam. Es sei denn, du bist ein halb-abgefallener Moslem, dann wirst du sogar vom Establishment gefördert. Einen fundamentalistischen Dozenten - und der kann so gut sein, wie er will - werden Sie an westlichen Universitäten nicht finden. Diese Tatsache hat für mich auch etwas Schmeichelndes an sich. Die haben nämlich Angst vor uns.
Wollen Sie den Rassismus gegenüber ethnischen Minoritäten an den britischen Universitäten und in anderen Lebensbereichen etwa aus der Furcht des weißen Establishments vor dem Islam erklären?
Im Gegensatz zum Hinduismus und Buddhismus ist der Islam ein sehr mächtiger Glaube, weil er als Religion auch mit einer politischen Ideologie daherkommt. Die Leute wissen, daß es eine gefährliche Mixtur ist, mit der religiösen Passion des Christentums und der politischen Kraft des Marxismus. Eine potentiell tödliche Kombination.
Vor allem tödlich für die Meinungsfreiheit.
Nein, wir respektieren die Meinungsfreiheit. Aber sie hat auch sonst Grenzen. Es gibt Verleumdungsgesetze, Blasphemiegesetze, legale Möglichkeiten, rassistische Meinungen zu zensieren. Die westliche Presse sagt, die Meinungsfreiheit schließe das Recht ein, den anderen zu verletzten und zu beschimpfen. Das streiten wir ab. Rushdies Erfolg im Westen erklärt sich einzig und allein aus der Tatsache, daß er die westlichen Vorurteile über den Islam bestärkt.
Was er mit Khomeini gemeinsam zu haben scheint.
Aber der ist doch nur auf der Szene aufgetaucht, weil uns keiner zugehört hat. Ich habe die Verleger schon im letzten Jahr vor der Veröffentlichung des Buches gewarnt.
Was wird jetzt weiter geschehen?
Wenn dieser Disput bis in den Fastenmonat Ramadan andauert (der am 7.April beginnt, d.Red.), der ja den wunderbaren Charakter des Koran zelebriert, dann, fürchte ich, werden wir überall in der Welt Gewalttätigkeiten sehen, auch hier in Bradford. Die Verleger, die sich meiner Meinung nach bisher sehr arrogant verhalten haben, sollten bis zu diesem Zeitpunkt eine Erklärung zur Entspannung der Situation abgeben.
Und wie wird dieser Konflikt zwischen dem „aggressiven Säkularismus“ und dem „militanten Islam“ am Ende ausgehen?
Ich denke, wir werden gewinnen.
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