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Koalieren - Tolerieren?-betr.: Günter Seiler: "Von der Tolerierung zur Mutterbrust Opposition", taz vom 1.3.89

betr.: Günter Seiler: „Von der Tolerierung zur Mutterbrust Opposition“, taz vom 1.3.89

Günter Seiler schreibt über die Frage Opponieren, Tolerieren oder Koalieren als über eine Frage des politischen Selbstverständnisses der Partei. Da hat er recht: genau das ist eine Frage des politischen Selbstverständnisses der Partei, eine Frage, die die Liste in der Vergangenheit viel zu wenig thematisiert hat. (...)

Es geht nicht um das Platznehmen auf den Regierungsbänken, „weil die gegenwärtige Konstellation ein rot/grünes Bündnis unumgänglich macht“, sondern darum, die gegenwärtige Konstellation und die Möglichkeiten, die darin liegen, zu nutzen, auf anderer Ebene genau diese doppelte Strategie weiter zu fahren und vielleicht zu optimieren. Wenn es richtig ist, wie von Walter Momper über Günter Seiler bis zu Harald Wolf gesagt wird, daß die zu überzeugen sind, „die sich für eine rot/grüne Perspektive erst noch erwärmen müssen“, und davon gehe ich aus, stellt sich doch genau die Frage, wie diese Menschen zu überzeugen sind. Ich bestreite, daß die Überzeugung von rot/grüner Zusammenarbeit in dem Maße zunimmt, wie die Vereinheitlichung der beiden betroffenen Parteien zunimmt, sprich die Identität - um diesen Begriff auch zu verwenden - der AL sich in die Identität einer etwas radikaleren sozialdemokratischen Variante auflöst. Ich bestreite vor allem, daß dies der Sinn alternativer Politik, der Entwicklung alternativer Konzepte über die reinen verbalradikalen Schlagworte hinaus sein kann. Ich halte es für einen „schlitzohrigen Sabotageakt“, wenn es nach jahrelanger politischer Arbeit in einem bestimmten Spektrum in der Gesellschaft und in die Gesellschaft hinein damit enden soll, daß die AL ihre Kritik und ihre konstruktiven Ansätze den Sachzwängen der Regierungstätigkeit unterordnet.

Und damit komme ich zu den Aspekten der Tolerierung, die langfristig gedacht, ganz unbedingt dafür sprechen, diese Form der Zusammenarbeit einer Koalition vorzuziehen. Tolerierung, das bedeutet distanzierte Unterstützung, das heißt die Ermöglichung einer Reformpolitik, die in vielen Punkten viel weniger ist als die Programmatik der AL, bei gleichzeitiger Verdeutlichung, daß wir diese Politik ermöglichen, weil wir auf eine gesellschaftliche Akzeptanz weitreichenderer Maßnahmen hinarbeiten.

Nehmen wir mal das blöde Beispiel der Busspuren: Als die AL die autofreie Stadt propagierte, wurde das als ebenso skandalös dargestellt, als hätte der Papst sich für die freie Liebe eingesetzt. Die Bereitschaft, sich mit dem auseinanderzusetzen, was hinter dieser Utopie steckt, war in weiten Teilen der Gesellschaft gleich Null.

Ermöglichen wir nun durch die Mandate, die wir im Abgeordnetenhaus haben, der SPD ein Regierungshandeln, können wir deutlich machen, daß wir diese Reformen mittragen als Schritte in die richtige Richtung oder als wohldosierte Vorbereitung auf weitergehende Initiativen, ohne daß wir die SPD zwingen, durch die Aufnahme der AL in die Regierung sich mit der Gesamtheit unserer Vorstellungen zu identifizieren, wie wir umgekehrt ohne Sachzwänge für das eintreten, was wir über das unmittelbare Regierungshandeln hinaus wollen. Die Frage der Stabilität und Zuverlässigkeit stellt sich hier nicht, denn faktisch sind wir Mehrheitsbeschafferin für sozialdemokratische Politik (so was kann mensch ebenso vertraglich vereinbaren wie eine Koalition). Hier liegt übrigens auch ein Denkfehler der SPD, wenn sie die Koalition als die bessere Form der Zusammenarbeit will, und weshalb sie eben nicht, wie Günter Seiler schreibt, „diese Lektion sehr schnell begriffen“ hat und „der AL einen Schritt voraus ist“: Neben dem engen Finanzrahmen ist das Hauptargument der SPD, wenn sie in den Verhandlungen massiven Druck auf bzw. gegen die AL ausübt, die „gesellschaftliche Akzeptanz“, Rot/Grün als „gesellschaftliche Kampfansage“ an sich usw. Es ist ein Irrtum der SPD zu glauben, wenn sie die AL in Vereinbarungen auf Absprachen, Loyalität, Minimalinitiativen verpflichtet, daß diese Akzeptanz verbessert wird, denn es blendet aus, daß eine Mehrheit in der Gesellschaft nicht einmal für Sozialdemokratie pur zu gewinnen ist, daß auch diese Mehrheit erst zu schaffen ist, und es blendet aus, daß selbst wenn die AL in der Regierung die Verantwortung mitträgt, umgekehrt die SPD die Verantwortung für die AL und das alternative Spektrum in dieser Stadt mitträgt.

Wir müssen uns zur Zeit dauernd von der SPD sagen lassen, sie würde uns in der Stadt, auf der Straße, an den Ständen verteidigen. Das wird vier Jahre (wenn die Kooperation so lange klappt) so sein, und um so mehr, wenn AL-SenatorInnen im Berliner Senat sitzen. Die Illusion vieler ALerInnen über die Möglichkeiten, im Rahmen von Rot/Grün alternative Politik umzusetzen, findet hier ihr Spiegelbild in der Illusion vieler SPDlerInnen, sie könnten eine Partei, deren Politik immer eine langfristig auf grundlegende gesellschaftliche Veränderungen ausgerichtete und in Verbindung mit außerparlamentarischen Bewegungen stehende war, permanent unter Kontrolle halten bzw. an die Kandarre nehmen.

Dies sind nur wenige Aspekte, die zumindest mich dazu bringen zu sagen, eine distanzierte Unterstützung ist besser als eine Koalition, und sie ist auch stabiler, weil die Reibungen und Spannungen, die auf der Ebene von Sachfragen entstehen und lösbar sind, und nicht auf der Ebene des Politikverständnisses, der Programmatik als ganzes, der, wie es ja jetzt immer so schön heißt, Philosophie der Partei. (...)

Astrid Geese, Mitglied des GA der AL, Berlin 31

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