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Die Genialität der Unauffälligkeit

Pokal der Landesmeister: Romario und Schuster setzten die Akzente beim Gigantenduell PSV Eindhoven - Real Madrid 1:1  ■  Aus Eindhoven Bernd Müllender

Nur die wenigsten Spieler, die sich Mittwoch abend beim Spiel zwischen dem holländischen Titelverteidiger und den seit jeher in den Stand der Königlichkeit erhobenen Madrilenen miteinander im „voetbal wedstrijd“ maßen, haben noch nicht in irgendeiner Nationalmannschaft gespielt. Fußballer erster Güte also, aus sieben Ländern, die sich trotz Sturm und Regen mühten, ein ähnlich grandioses Match zu zelebrieren wie an gleicher Stelle vor einem Jahr. Das gelang zwar nur phasenweise, aber dafür zauberten zwei, die bei PSV-Real '89 zum er- sten mal dabei waren: Eindhovens neuer Brasilianer Romario de Souza Faria und jene tragisch -geniale deutsche Fußballegende mit Namen Bernd Schuster.

Schuster, der in seiner ersten Saison bei Real spielt und zuletzt mal wieder mit Lob überhäuft wurde, schien reichlich indisponiert. Da tändelt er, tänzelt er im Mittelfeld herum, bis ihm Lerby den Ball abjagt und fast die Führung erzielt. Deckungsarbeit überläßt er den Mitspielern, stellt sich aber als Alibi-Defensivkraft durchaus schon mal vor den eigenen Strafraum, spielt exakte Querpässe mit eleganten Bewegungen, aber sonst nichts, volle 40 Minuten lang. Seinen ersten Geniestreich, einen unvorhersehbaren Steilpaß, vergibt Hugo Sanchez. Dann aber zelebriert Schuster den letzten Angriff der ersten Halbzeit ganz allein, spielt auf engstem Raum mühelos drei Gegner aus, spitzelt, scheinbar ohne den Fuß zu bewegen, einen Gassenpaß in die Tiefe des engen Raumes, und den Rest machen Michel und Butragueno im Direktspiel. 0:1 in der 45.Minute, und Eindhovens Trainer Hiddink meint hinterher, die Seinen hätten den listigen Täuscher Schuster „zu naiv behandelt“.

Einen solchen unauffällig Unberechenbaren hat auch der PSV. Mittelstürmer Romario, dieser knubbelgestaltige Gerd Müller von der Copacabana, ist mit 10 Toren nach nur 12 Spielen längst Publikumsliebling. Dabei steht er im Sturmzentrum herum wie ein kleines Kind, das darauf wartet, von der Mama endlich mit Brei gefüttert zu werden, doch plötzlich, wenn alle seine Existenz vergessen haben, explodiert er und springt aus der Tiefe seines Körperwuchses in erstaunliche Höhen, und macht so, mit hübschem Kopfball, in der 53.Minute den Ausgleich. Ganze zwei Minuten später ist dieser Romario, bevor er wieder aus der Realität entschwindet, mit seinem schwarzen Locken erneut genau da, wo der Ball hinkommt, doch diesmal rettet der Innenpfosten.

In solchen Szenen, einen Sieg vor Augen, zeigt das Philips -Publikum, was in ihm steckt. Jede Kurve, jeder Fanblock, stimmt vieltausendkehlig ein eigenes Lied an, das sich zu einer akustischen „ola“ steigert, die die Ränge umrundet, und zu einem Multikanon anschwillt. Ein ohrenbetäubender Lärm, scheinbar chaotisch für den fasziniert lauschenden Neuling, und doch bald eine einmalige, donnernde Symphonie. Wie mag sich das erst anhören, wenn der PSV in Führung geht?

Daß es dazu nicht kam, lag an Reals gewissenhaft kompromißlosem Abwehrspiel. Knallhart geht es gegen Ball und Gegner, wo in der ersten Halbzeit noch spritziges Konterspiel und zahlreiche Chancen zu Buche standen. Allein drei Tore in zehn Minuten hatten die Spanier da erzielt, die der väterliche Schwarzmann Agnolin aus Italia allesamt nicht gelten ließ.

Das erste von Sanchez wegen Torwartbehinderung nicht zu geben, war eine glatte Fehlentscheidung, die den Mexikaner so in Wallung brachte, daß er kurze Zeit später seinen belgischen Gegenspieler Gerets zu Boden rammte, was Agnolin zur ausgleichenden Ungerechtigkeit ebenso ignorierte und seinen Coach Leo Beenhakker hernach zum Spruch des Tages animierte: Eine Tätlichkeit, die 28.000 gesehen hatten? Nein, wenn Hugo das abstreite, wird er schon die Wahrheit sagen, denn: „Ich glaube an das Gute im Menschen.“

Auch Schuster hatte noch seine Momente. Ein geglückter Kopfball (51.Minute), ein entsetztes Abwinken (55.), als ihn Sanchis mit einem Steilpaß zum Sprinten bewegen wollte, einige gescheite, aber an der Subgenialität seiner Kameraden gescheiterte Pässe (u.a. 66.), dazu publikumswirksam zelebrierte Stürze (69.), wenn er gegen Geg- nerbeine stolperte, und die gelbe Karte (70.) nach einer rüden At tacke an Eindhovens neuem Klassemann Stan Valkc. Aber selbst da de- monstrierte er noch Einmaligkeit, als er, warum auch immer, auf PSV- Trainer Hiddink mit erhobenem Zeigefinger lospreschte.

Der wollte ihm drohend entgegenkommen - doch da war der unparteiische Selbstdarsteller Agnolin vor. Wenn sich der Coach nicht augenblicklich auf sein Stühlchen zurückbegebe, werde er ihn dort festbinden. Hiddink saß die restlichen 20 Minuten zur Bewährung ab.

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