: 10 Jahre Pro Familia
■ „Eine Eichel ist keine Eiche“ / Pro-Familia-Selbstverständnis: Dienstleistungszentrum für Beratung, Abtreibung und Sterilisation / „Eine sehr konstruktive Arbeit!“
Auf der Fahrt zum Interview guckte der Taxifahrer zuerst mitfühlend („Zu Pro Familia bitte“) und bekannte schließlich überraschend: „Da hab ich vor einem Jahr auch auf dem Tisch gelegen.“ Er hatte sich nämlich ambulant sterilisieren lassen. „Die sind doch voll in Ordnung da, unheim
lich nett. Hat auch nicht wehgetan.“ So gut ist der Ruf.
Für das, was in der Stader Straße tägliche - legale Routine ist, stehen in Memmingen der Frauenarzt Horst Theissen und reihenweise Patientinnen vor Gericht und am Pranger: Beratung und Abtreibung „unter einem Dach“. Der Bremer Landesverband der Pro Familia, 1969 noch gegründet „zur Förderung der Volksgesundheit und zur Bekämpfung der Abtreibung“, entwicklte sich in wenigen Jahren zur ersten bundesdeutschen Modell-Einrichtung für das Gegenteil. Mit den Worten „Schafft die Zwangsberatung ab“ (so der damalige Vorstandsvorsitzende und Bremer Hochschullehrer Gerhard Amendt 1976) und der Forderung nach der ersatzlosen Streichung des Paragrafen 218 „haben wir im Bundesverband jahrelang die Themen definiert und den Verband nach links geführt“, erinnert sich Amendt heute.
Der 1976 neugefaßte § 218 gab zwar mit seiner bis heute geltenden Indiaktionenregelung die Grundlage ab für das Bremer Modell, die MitarbeiterInnen ließen aber von Anfang an keine Zweifel daran, daß sie die vorgeschriebene Beratung über „öffentliche und private Hilfen“ für blanken Zwang hielten, kritisierten Fristenlösungen und sämtliche „Indikationen“, die doch nur Ausnahmen von der vorgesehenen Bestrafungsregel sind.
Bis heute. Als Pro Familia im Februar ihren 10. Geburtstag feierte, konnte sich Referentin Susanne von Paczensky, gerade aus Memmingen zurück, empören: „Nicht beim Umgang mit pubertierenden Jugendlichen, nicht beim Kinderkriegen, nicht bei Scheidungen - nur bei Schwangerschaften müssen Frauen sich zwangsberaten lassen!“
Das Beratungszentrum ist in einer paradoxen Situation. Waren noch 1983 über 4.000 Abtreibungen durchgeführt und über die Krankenkassen abgerechnet worden, schlugen 1988 nur noch gut 3.000 zu Buche (vgl. Kasten 'Bilanz‘). Damit sank aber auch dra
stisch die Haupt-Einnahmequelle des gemeinnützigen Vereins, der mit den Geldern aus dem medizinischen Bereich die Aufklärung, Information, Prävention finanziert. Sozialwissenschaftlerin und Therapeutin Hanna Staud, 44 Jahre, seit 1979 als Geschäftsführerin bei Pro Familia Bremen: „Wir wissen aus internationalen Studien: Wo die beste Prävention gemacht wird und am offensten über Sexualität geredet wird, da sind am wenigsten Abbrüche zu verzeichenn. Holland ist das Land mit der niedrigsten Abtreibungsrate!“
Immerhin hat sich das Land Bremen inzwischen bereit erklärt, die gesetzlich vorgeschriebenen (und für PatientInnen kostenlose) 218-Beratungen mit rund 120.000 Mark jährlich zu finanzieren. Staud: „Wir fordern seit Jahren, zusätzlich den Präventivbereich zu finanzieren, also Beratung über sexuelle Fragen, Kinderwunschberatung, Verhütungsmittel - die weder aus der Krankenkasse noch aus öffentlichen Geldern finanziert werden. Die anderen Stadtstaaten Berlin und Hamburg z. B. werden zu 90% finanziert.“ Davon ist Bremen weit entfernt. Auch mit den 75.000 Mark, die letztes Jahr für eine Deckungslücke aus öffentlichen Geldern zugeschossen wurden, hat die Finanzierung durch das Land noch keine 20 Prozent erreicht. Hanna Staud: „Es ist ein Schritt, aber knapp 20 Prozent ist zu wenig. Dieses Jahr werden die Abbrüche noch weiter zurückgehen.“
Auch nach 10 Jahren ist das Bremer Modell der Pro Familia mit ambulanten Abtreibungen vielerorts noch ein kariertes Maiglöckchen. Bundesweit gibt es inzwischen fünf ähnliche Einrichtungen. Die politische Stoßrichtung der kommenden Monate sieht Hanna Staud darin, sich öffentlich mit den Memminger Angeklagten zu solidarisieren und gegen das geplante Beratungsgesetz aufzuklären, das das Kinderkriegen zum Beratungsziel erklären will: „Durch die rechte Familienplanungsplitik werden
Frauen nicht dazu gebracht, ein Kind auszutragen, sondern mit großen Schuldgefühlen eine Abtreibung machen zu müssen.“
Die klare Forderung des Bremer Landesverbandes nach Streichung des § 218 ist im Pro-Familia-Bundesverband so wenig selbstverständlich wie bei den Grünen oder gar der SPD. Die Bremer MitarbeiterInnen, bis heute regelmäßig mit Drohbriefen und Tötungsvorwürfen konfrontiert, sehen ihre tägliche Arbeit schlicht sachlich. Staud: „Wir nutzen das Gesetz aus, daß Frauen legal ihren Abbruch bekommen. Das ist eine sehr konstruktive Arbeit im Sinne von Lebensplanung einer Frau. Wir sind DienstleisterInnen. Und zum Tötungsvorwurf kann ich mich nur Susanne von Paczensky anschließen: Eine Eichel ist keinen Eiche.“ S.P
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