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Rache am toten Tucholsky

■ Das Plakat zur Zwerenz-Lesereise „Soldaten sind Mörder“ wurde beschlagnahmt

Es geschah in fast jeder Stadt: Kaum hingen die Plakate, waren sie auch schon wieder abgerissen. Am Montag in Bad Oldesloe glaubten die Veranstalter der Schleswig-Holstein -Lesereise des Schriftstellers Gerhard Zwerenz noch, es seien Neonazis, die so schnell zur Tat geschritten waren. Bereits am Dienstag aber sorgten Lübecker Kripo-Beamte höchstpersönlich für die weitere Beseitigung von vier Plakaten; wenig später lag prompt ein Beschlagnahmebeschluß des Vorsitzenden Richters Schmidt-Braess vom Landgericht Lübeck vor. Damit war es amtlich: Das inkriminierte Bild mit dem Tucholsky-Zitat „Soldaten sind Mörder“ und der Fratze eines Wehrmachtssoldaten - darf nicht mehr öffentlich hängen. Die Restbestände wurden denn auch pünktlich am Mittwoch um acht mittels Hausdurchsuchung bei Ralf Cüppers, dem Landesvorsitzenden der Vereinigung der Kriegsdienstgegner (DFG-VK) und Organisator der Lesungen, abgegriffen.

Dabei ist das Plakat nichts anderes als die vergrößerte Titelgraphik von Zwerenz‘ gleichnamigem Buch, und das kann jeder Buchladen sich nach wie vor ins Schaufenster legen. Zwar ermittelt die Mannheimer Staatsanwaltschaft seit Herbst gegen den Zwerenz/Tucholsky-Titel, bisher jedoch ohne Ergebnis. Was das schnelle Vorgehen der Behörden gegen das Plakat zum Kuriosum macht: Am kleinen Unterschied - auf dem Buch die Namen von Autor und Verlag, auf dem Plakat der des Veranstalters - wird's wohl kaum liegen.

Der Verlag Knesebeck und Schuler wie auch Gerhard Zwerenz selbst vermuten, daß inoffizielle behördliche Absprachen dahinterstecken. Aus Angst vor zuviel Öffentlichkeit bei einem Prozeß gegen Zwerenz‘ provokatives Buch, aus Angst, dem derzeit ohnehin angeschlagenen Image der Bundeswehr so noch weiteren Schaden zuzufügen, beschränke man sich vielleicht auf regionale Gegenmaßnahmen, die allerdings flächendeckend. Zwerenz: „Das ist die Rache am toten Tucholsky“. Die Behörden in Schleswig-Holstein scheinen da besonders eifrig. Der von der DFG-VK auf dem Plakat hinzugefügte Hinweis auf die historische Bedeutung des Zitats - Carl von Ossietzky stand deshalb 1931 vor Gericht und zwar ebenfalls als Sekretär der DFG - genügte ihnen wohl nicht. Und bereits seit August '88 hat eine Gruppe von Kriegsdienstverweigerern in Kiel wegen eines ähnlichen Plakats (mit Tucholsky-Zitat und ohne Wehrmachtssoldat) ebenfalls ein Strafverfahren am Hals. Ermittelt wird nicht nur wie üblich wegen Verdacht der Volksverhetzung und Beleidigung, sondern wegen § 109e: „Sabotagehandlung an Verteidigungsmitteln“. Fragt sich, was da von wem sabotiert wird, meint Zwerenz. Und noch einen Paragraphen führt das Kieler Landgericht auf, § 74a I 3 LVG. Erst nach gründlicher Recherche konnte der Verteidiger die Abkürzung aufschlüsseln: Geahndet wird ein Verstoß gegen das Luftverkehrsgesetz. Inwieweit aber das Tucholsky-Zitat etwa Tiefflieger bei der Ausübung ihres Berufs behindert, ist bisher unklar: Der Bitte des Anwalts um genauere Auskunft in Sachen Luftverkehr ist das Gericht bisher nicht nachgekommen.

chp

Die Zwerenz-Lesung heute abend um 19 Uhr im Zwinger, Buxtehude.

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