: NEHMEN SIE IHN WIE EIN MANN, MADAME!
■ Sie und Er beim Ball Paradox im „Cafe Keese“
Hochhackig stolzieren vor uns zwei Damen durchs nächtliche, regnerische Berlin. Die eine mit Fuchsjacke, die andere im halblangen schwarzen Wintermantel. Der üppigen Figur und Aufmachung nach mittleren Alters, frisch vom Frisör und ausgehbereit. Wir wetten, sie haben das gleiche Ziel wie wir: Zum Tanzabend ins „Cafe Keese“.
Auf der Damentoilette beim letzten Schliff, Lippen werden nachgezogen, Parfüm ausgetauscht, Lagerfeld gegen Chanel No5 und die Frisur zurechtgerückt, treffe ich die beiden wieder. Sie sind mit zwei Freundinnen verabredet. Ihr vertrauliches Gespräch mit der Klofrau weist sie als erfahrene Keese-Gäste aus.
Der riesige, in dämmriges Rotlicht getauchte Saal ist erst halb gefüllt. Reife bis überreife Gäste zwischen 35 und 60 Jahren, mit einer relativen Häufung bei 40 bis 45, sitzen, nach Geschlechtern getrennt, an den Tischen. Während die Frauen eher in größeren Gruppen zusammenglucken, teilweise bis zu sechst in einer Sitzecke, trifft frau die Herren häufiger allein oder zu zweit an den kleineren Tischen. Offensichtlich sind die Frauen sozialer, Gruppenschutz haben sie im „Keese“ schließlich nicht nötig. Denn es gilt die These: „Es regiert die Frau im 'Keese'“. Und das Regiment der Frauen beim Ball Paradox wird durch die Hausordnung kräftig unterstützt: „Über allem steht das Hausgesetz: Ein Herr, der aufgefordert wird, darf der Dame keinen Korb geben.“ Und höflichst wird er auf rosa Tischkärtchen gebeten, nur zu tanzen, wenn ihn eine Dame bittet.
Die Musik der tschechischen Kapelle „Nightshift“ aus Budweis setzt verheißungsvoll mit „Macho, Macho“ von Reinhard Fendrich ein. Über der Bühne leuchtet das grüne Lämpchen: Signal für Herrenwahl. Der Ball Paradox ist für eine Runde ausgesetzt. Nun dürfen die Herren, allerdings nur einmal in der Stunde, „ran an die Buletten“, wie ein älterer Besucher treffend bemerkt.
Ein zielstrebiger Mittvierziger steuert auf mich zu. „Woll'n wer tanzen?“ meint er, eine Verbeugung andeutend. Eigentlich will ich ja nicht, aber um meiner Voyeursrolle gerecht zu werden, stürze ich mich voll rein ins „Verjnügen“. Da er für meinen Begriff zu viel mit den Schultern wackelt, beim Fox den Zwischenschritt zu abgehackt tanzt, bin ich froh, als die wohl aus diesem Grund stets sehr kurz gehaltene Tanzrunde vorbei ist. Whisky-Time. Tanzpause. Beim nächsten Schwoof - nun ist Damenwahl - hole ich mir - gestärkt durch die Prinzipien des Hauses - einen anderen, einen dynamisch wirkenden, gutaussehenden Enddreißiger. Ob er öfters hier verkehre, frage ich meinen Partner. „So ab und an“, meint er. Von Beruf Monteur und häufig unterwegs, biete das „Keese“ eine „angenehme Möglichkeit fürs Heimspiel“, fügt der Witzbold hinzu. Lustig. Dennoch entscheide ich mich bei der nächsten Runde das Parkett gehört mir - für den allein sitzenden Graumelierten.
Paul, so stellt er sich vor, hält nicht viel von Regeln. Obwohl ich ihn bei den darauffolgenden Damentänzen schlicht ignoriere, fordert er mich nicht nur bei den seltenen Herrenrunden hartnäckig auf, sondern begeht ein grobes Foul: Schnöde mißachtet er die Damenwahl. Als ich bei seinem dritten Anmarsch - besondere anderweitige Vorlieben habe ich sowieso nicht entwickelt - dann doch nachgebe, entführt er mich an die Bar. Vertreter für polnische Konfektionsware, geschieden nach einer zu früh geschlossenen, unglücklichen Ehe, kinderlos, allein lebend. Er liebt die Polen, das Essen, geht gerne aus, kocht und fischt leidenschaftlich und würde sich freuen, mich bald wieder einladen zu dürfen. Sein Leben liegt nach drei Glas Sekt vor mir ausgebreitet. Nicht weil er lispelt oder wegen seiner treuherzigen Aufmerksamkeit kommt mir einer meiner pubertären Lolita -Träume in den Sinn: einen Mann um den Finger wickeln und ausnehmen. Hier wäre genau der richtige Ort für die berechnende Jagd auf einsame, allerdings nur mäßig situierte Herren. „Doch wo kein Jäger ist, ist kein Freiwild!“ so der geplante neue Werbespruch der Firma „Keese“. Und einen Jagdschein haben hier ja nur die nichtaggressiven, abwartenden, ungefährlichen Frauen. Ich trinke das Glas aus, verscheuche meine fiesen Backfisch-Gedanken und gehe, irgendwas von müde murmelnd, an meinen Platz zurück.
Als fortschrittlicher, eher in die androgyne Richtung tendierender Mann kostet mich die konventionelle „Keese„ -Atmosphäre zunächst einiges an Überwindung. An der Bierbar, fernab vom Schuß, inmitten einer erwartungsfrohen Herrenschar, plaziere ich mich, um der Dinge zu harren, die da hoffentlich kommen. Die verklemmte Atmosphäre meiner Tanzstundenzeit kommt mir in den Sinn; in der Magengegend kribbelt's wie damals. „Tanzen Sie auch?“ fragt mich plötzlich eine forsche Enddreißigerin, deren Annäherung ich nicht bemerkt habe. Ich muß erst einmal schlucken, bevor ich ihr willig und irgendwie geschmeichelt zur knackvollen Tanzfläche folge. Haltung ist gefragt, Handanlegen, Tuchfühlung, gegenseitiges Abtasten: Warum sie wohl gerade ins „Keese“ geht? Warum hat sie gerade mich herausgefischt? Ich entschuldige mich schon mal prophylaktisch für mein, mangels Übung, hölzernes Tanzen. Außerdem, mit Schuhgröße siebenundvierzig ist das so eine Sache. Dafür zeigt sie größtes Verständnis, taxiert mich als Lehrer oder Sozialarbeiter. Heiteres Beruferaten: haarscharf vorbei geraten. Sie hat 'nen Blick dafür, weil sie schon öfters im „Keese“ war. Stammgast sozusagen. „Montags ist es am besten“, verrät sie mir, „nicht so voll. Da hat man genügend Platz zum Tanzen.“ Whisky-Time.
Bei der nächsten Dreierserie fordert sie mich ein zweites Mal auf: „Marina, Marina, wunderschönes Mädchen“. Sie gibt sich als Grundschullehrerin in Kreuzberg zu erkennen. Whisky -Time. Kniggegemäß begleite ich meine Partnerin zurück an ihren Tisch. Ihre Freundin mustert mich von oben bis unten.
Auf der Herrentoilette: Kultur für höchste Ansprüche. Von Placido Domingo schwärmt der Graubärtige dem Toilettenmann in höchsten Tönen vor: „Schräg gegenüber in der Oper, der hat über hundert Vorhänge gekriegt, einfach 'ne Wucht.“ Noch einen Schuß Irischer Frühling unter die Achselhöhle, eine Ladung Taftspray aufs graugewellte Haar - und Heinz, so nennt ihn der Toilettenmann, entschwindet wieder ins Getümmel. Ohne Haarspray und Deodorant, dafür aber mit neuem Mut folge ich ihm.
„Und nun wieder Herrenwahl“, verkündet der Diskjockey. Das Lämpchen über dem Orchester signalisiert: Grünes Licht für die Herren. Wie aus den Startlöchern schnellen sie empor. Im Handumdrehen ist die Tanzfläche voll, meine Lehrerin schon vergeben - und ich schaue in die Röhre. Hätte ich sie doch durch die Blume reserviert und ihr während meiner Klopause, „Keese„-üblich, durch den Kellner eine rote Rose überbringen lassen.
Ihren Namen kenne ich nicht, dafür ihr Gesicht. Eine Woche später treffe ich sie auf ungewohntem Parkett wieder. Eine Fata Morgana? Sie winkt mir lächelnd zu: Im Gedränge der Schultheiss-Festsäle auf der Mitgliederversammlung der Alternativen Liste. Mein Weltbild ist aus den Fugen geraten.
Kein Material hier!“ Mißmutig verläßt der dickleibige Sechziger den Tisch. „Heute sind einfach keine gescheiten Bräute da“, fügt er erklärend hinzu. 95.000 Ehen habe das „Keese“ gestiftet, steht hingegen aufmunternd auf der Getränkekarte. Eine Zahl, aus Danksagungen und Flitterwochengrüßen hochgerechnet. Das „Keese“ als Förderinstanz, um garantiert in den Hafen der Ehe, und sei es auch die zweite, einzulaufen. Seit Bestehen des ersten Cafe „Keese“ 1948 muß der Firmengründer Bernhard Willi Keese somit sage und schreibe rund 200 Eheschließungen monatlich auf seine Kappe nehmen.
Bernhard Willi Keese - inspiriert durch das Gesellschaftsspiel Ladies Choice in englischen Offiziersklubs - baute das erste damenfreundliche Etablissement angesichts des Frauenüberschusses der Nachkriegszeit 1948 in Hamburg auf. Zwei weitere Filialen in Berlin und Niendorf an der Ostsee folgten.
Trotz dieser prallen Hochzeitsbilanz, dieser unglaublichen Trefferquote: Nicht nur die Sehnsucht nach dauerhafter Zweisamkeit, auch die kurzlebige Nacht oder der schlichte nette Tanzabend werden hier gesucht. Dem barschen Dicken beispielsweise ging es wohl eher um die Nacht.
„Vom Prinzip her muß der Mann hier Gockelfedern lassen“, diagnostiziert Juniorchef Feussner (28). Da bei den Damen Geborgenheit und Vertrauen eine größere Rolle beim Kontakt mit dem anderen Geschlecht spiele, würde man im „Keese“ streng darauf achten, daß die männliche Balz gebändigt werde. Dies, so spekuliert er, sei vielleicht auch der Grund, warum nur so wenige Ausländer hierherkämen. Für sie seien die „Keese„-Regeln noch ungewöhnlicher als für die häufig schon überforderten deutschen Männer. Zu massiv vorgehende Männer, die gegen die Spielregeln des Ball Paradox verstoßen, müssen mit einer Rüge bis hin zum Hausverbot rechnen. Dasselbe gilt für zu direkt agierende Damen. Dem Klischee, das „Keese“ sei vom System her „ein El Dorado der Prostitution“, begegne man mit allen Mitteln, betont Feussner. Der schlechte Ruf eines Abschleppladens sei zwar nicht aus der Welt zu schaffen, doch die Bedürfnisse, die hier ausgelebt würden, seien nur menschlich, allzu menschlich. Zweifelsohne müßten Atmosphäre und Stil beständig gepflegt werden.
Vier junge Herren werden am Eingang von der Empfangsdame gemustert, einer von ihnen ausgemustert. „Also mit Jeans, da kommen Sie bei uns nicht rein!“ doziert die Hüterin der Kleiderordnung. Nach einigem Hin und Her und Rücksprache mit dem Geschäftsführer wird der unbotmäßige Jeansträger unauffällig in die Mitte genommen. Die Empfangsdame geleitet die Viererbande im Entengang zum Tisch. Im Schnitt dominiert bei den Herren ein fader, elegant bis legerer schwarz-grau -blauer Einheitsausgehstil. Bei den Damen tritt die schlichte schwarze Hose mit Bluse neben dem goldpaillettenverzierten, tiefausgeschnittenen Kleid auf.
Tuchfühlung. Nur noch wenige, sich kaum bewegende Paare auf der Tanzfläche. Die Kapelle säuselt einfühlsam „Now I found that the world is round“ von den Bee Gees. Ihr Repertoire, das von den aktuellen Hits der Charts bis zu deutschen Liedern a la Roger Whittaker und Roland Kaiser reicht, wird zu später Stunde immer einlullender, schmalziger. Weit nach Mitternacht hat sich der Saal merklich geleert. Wieviele einen abgeschleppt, aufgegabelt, abgekriegt haben - schwer zu sagen. Die Sitzgruppen haben sich verschoben. Zwei Solo -Herren haben sich nun zu dem Six-Pack Damen uns gegenüber gesellt. Spießig, piefig, kleinbürgerlich? Honi soit qui mal y pense!
Günther Ermlich/Edith Kresta
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