: Keine Super-Guillaumes am Heimcomputer
■ „Großer Schlag“ gegen angebliche „KGB-Hacker“ entpuppt sich als Mogelpackung
Als „schwerster Spionagefall seit der Verhaftung Guillaumes“ geistert seit der „Brennpunkt„-Sendung vom Donnerstag ein Virus durch die Datenleitungen der bundesdeutschen Medien: Gorbatschow habe sich Computer-Hacker angeworben, um geheimste Informationen aus den Datenbanken des freien Westens abzuzapfen. Superspione am Heimcomputer - die fünfte Kolonne im Kinderzimmer? Nichts ist weniger gewiß als dies. Denn die „monatelangen Recherchen“ von NDR und Bundeskriminalamt haben aus einem drogensüchtigen Informanten bislang nur altbekanntes zutage gebracht. Während Innenminister Zimmermann von einem „schweren Schlag“ gegen den Osten spricht, warnt selbst die Bundesanwaltschaft vor einer Überschätzung des Falles. Und die Profis vom Chaos -Computer-Club vermuten eine Einschüchterungsaktion des BKA gegen den uneingeschränkt freifließenden Byte-Strom.
Eine ganz neue Form von Spionage, bei der die Täter keine Spuren hinterlassen und die deswegen so gefährlich ist, weil sie den technologischen Vorsprung der westlichen Industriestaaten bedroht. Dies war der Tenor, des Panorama-Exklusivberichts über die Hacker-Spione aus Hannover und Berlin, mit dem am Donnerstag abend die bundesdeutsche Fernsehnation länger als üblich vor den Bildschirmen gehalten wurde. „Die bundesdeutsche Spionageabwehr enttarnte einen Agentenring, der geheimste Militär-, Forschungs- und Wirtschaftsdaten per Computerleitungen aus Rechenzentren der USA, Europas und Japans abgezogen und in den Osten geschafft hat“, raunte es aus dem Sender. „Das ganze wurde drei Nummern zu hoch gehängt“, so wiegelte dann allerdings schon am gestrigen Morgen der ehemalige Chef des Bundesverfassungschutzes, Heribert Hellenbroich, ab. Bei den hannoverschen Computer -Freaks hieß es einhellig zur gleichen Zeit: „Da werden wie jedes Jahr rechtzeitig vor der weltgrößten Computermesse, der hannoverschen CeBit, alte Sachen wieder aufgekocht und aufgebauscht.“ Und tatsächlich: Eine Bürosystem-Firma ließ gestern nachmittag an alle Zeitungen die frohe Botschaft verbreiten, daß ihr System „Securi Crypto“ über einen völlig neuen, unknackbaren Algorithmus arbeite.
Drei Hacker aus Hannover bzw. Berlin haben sich dem Fernsehbericht zufolge (den die Panorama-Redaktion nach eigenen Angaben „auf das Aussage zweier Täter und eigene Recherchen“ stützt) seit dem Jahre 1986 im Auftrag des sowjetischen Geheimdienstes KGB die Nächte an ihren Computerterminals um die Ohren geschlagen. Sie sollen mit einfachen Heimcomputern von einer Wohnung in Hannover aus weltweit in Rechner der US-Streitkräfte, von Forschungseinrichtungen wie dem europäischen Kernforschungsinstitut CERN oder der europäischen Weltraumbehörde eingedrungen sein und Schlüsseldaten über Ost-Berlin an den KGB geliefert haben.
Durchsucht wurden am Donnerstag mehrere Wohnungen in Hannover und in West-Berlin.
Der Sprecher der Bundesanwaltschaft Prechtel teilte der taz gestern nachmittag mit, daß gegen zwei der acht Beschuldigten Haftbefehl erhoben worden sei, gegen einen allerdings nur wegen Fahnenflucht.
Zumindest die Hauptfigur des angeblich echten „Spionage -Thrillers“, der hannoversche Hacker Markus H., ist schon vor zwei Jahren ganz unerwartet als „Super-Hacker“ prominent geworden. Markus H. gilt bei den Computerfreaks als zweitbester Programmierer Norddeutschlands. Doch daß der in einem hannoverschen Telefon- und Adressbuchverlag beschäftigte Hacker im Auftrage des KGB von seinem Stützpunkt im Rechner der Bremer Uni aus durch amerikanische Forschungs- und Militärcomputer gewandert ist, hielten seine Computer-Freunde gestern morgen noch für ausgeschlossen.
Ein Strafverfahren gegen Markus H. wegen Terminal-Trips in die USA schien auch längst abschlossen zu sein. Die Durchsuchung seiner Wohnung im Frühjahr 1987 war für rechtswidrig erklärt worden, da es gegen ihn „keinen rechtmäßig erlangten Verdacht“ gab. Anhand eines sogenannten Zählervergleiches war damals durch die Post festgestellt worden, mit wem der Hacker bei seinen Datenreisen verbunden gewesen war. Nachdem durch höchstrichterliche Entscheidung ein solcher Zählervergleich einem ganz normalen Abhören gleichgestellt worden war, beruhten die Verdachtsmomente gegen den Programmierer ausschließlich auf illegalen Ermittlungsmethoden, und auch die Durchsuchung war damit illegal. So wartete denn der hannoversche Anwalt von Markus H. in der letzten Zeit auch nur auf die Einstellung des gesamten Verfahrens. Der Verteidiger legte schließlich Dienstaufsichtsbeschwerde ein, da ihm bis heute von der Bremer Staatsanwaltschaft die Einsicht in die Ermittlungsakten verwehrt wurde.
In Hannover begegnet man den beiden Zeugen mit Skepsis, auf deren Aussagen die Panorama-Redaktion den Vorwurf stützt, bei den letzten zwei Dritteln seiner Datenreisen habe der Superhacker Auftrgäge des sowjetischen Geheimdienstes ausgeführt. Zumindest einer der Zeugen ist auch nach Angaben der Panorama-Redaktion abhängig von harten Drogen. Dieser drogenabhängige angebliche KGB-Spion Karl K. hatte in Hannover seit langen schon jedermann über seine Zusammenarbeit mit Panorama erzählt und stolz den bevorstehenden Fernsehbericht angekündigt. Seinen Geschichten von angeblichen Kontakten zum KGB schenkte in Hannover damals niemand Glauben. Ausschließen will allerdings auch in norddeutschen Hacker-Kreisen niemand, daß da etwas an den Osten verkauft worden ist, doch schon an dem Wert der im Fernsehen gezeigten Computerausdrucke und Listen meldet man begründete Zweifel an. Prechtel sprach gestern von Zahlungen „in der ungefähren Größenordnung von 30.000 DM“. Einen Vergleich mit dem Fall Guillaume halte er für „überzogen und schädlich“. „Wenn es tatsächlich einen Deal mit dem KGB gegeben hat, dann wurde nur Schrott übergeben“, so sagen die Computerfreaks, die jetzt noch nicht einmal ihren Wohnort in der Zeitung genannt haben wollen. Als Beißstücke habe Panorama nur aus Knotenrechnern stammende interne Dateiverzeichnisse gezeigt. Damit könne man zwar Dateien anwählen, aber längst noch nicht deren Inhalt abrufen. Solche Listen könne man über X-beliebige Mailboxen erhalten. Andere Computerfreaks sind noch heute von der Unschuld von Markus H., gegen den bislang kein Haftbefehl vorliegt, fest überzeugt: „Das andere Verfahren hat man wegen verbotener Ermittlungsmethoden einstellen müssen. Jetzt versucht man es eben mit dem Spionagevorwurf“.
Jürgen Voges
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen