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Wir Kinder vom Bahnhof Zoo

■ Premiere in der Aula der Uni Oldenburg: Eine zusammengewürfelte Truppe des Fachbereichs Musik inszeniert die Revue „Linie 1“: Lieben und Sterben im Berliner Underground

Die Story ist schnell erzählt: Fanny, die naive Westlerin, macht die Biege nach Berlin, ist auf der Suche nach ihrem Johnny, dem geilsten Sänger überhaupt. Ankunft Bahnhof Zoo. Sie muß erst viele Abenteuer bestehen, bevor ihr Johnny seinen großen Auftritt hat. Cool wie Panik-Udo, mit Glitterhemd und Gogo-Girls, singt er Only you und, was alle ahnen, Fanny entschwebt mit einem anderen, dem schmierigen Geschichtenschreiber im Exhibitionisti-Outfit, in den Himmel der Glückseligkeit.

Dazwischen und zwischen den Endstationen der U-Bahn Linie 1 spielt das Stück. Leben, Lieben, Träumen und Sterben im Berliner Underground. Eine 3stündige Revue mit 14 Bildern und 20 Songs, die besonders von der 9köpfigen Band mit ihren 4stimmigen Blasersätzen so geschmettert wurden, daß man sich wundert, warum nicht mehr ZuschauerInnen das Tanzbein schwangen.

17 SchauspielerInnen, die jeweils in unzähligen Rollen spielten, sangen und tanzten. Als Spießer, Spanner, Sportler; als Penner, Nutten und Braune Witwen, die stolz sind, nach Krieg, Blockade und Mauer nun auch die Hausbesetzer überlebt zu haben. Berliner Typen: Schnorrer, Dealer, Punker, Türken und Ledermänner, Arbeitslose und der Opa, der sich steppend an den die Mauern überfliegenden Möwen erfreut. Auch die selbsternannten Helden im „U-Bahn -Krieg“, die Kontrolletis der BFG, fehlen nicht.

Alle diese ganz normalen Menschen tauschen ihren Haß und ihre Vorurteile aus, sämtliche Klischeeregister werden gezogen und vom Premierenpublikum mit begeistertem Lachen bedacht. Doch bei aller Komik und Ironie: an manchen Stellen hatte ich einen dicken Kloß im Hals: Nach dem Einzug der Reps ins Abgeordnetenhaus erhalten viele Stellen dieser leichtverdaulichen Unterhaltungskost eine andere Qualität.

Situationen, die als karrikierende Übertreibung gedacht waren, sind längst Realität. Seltsam bleibt, warum die übelsten Fascho-und Rassitensprüche die größten Lacher hervorlocken.

Doch im Vordergrund steht der Mut zum Träumen, Fannys „Ich will doch nur glücklich sein“ gilt für alle, und so fallen sie sich zum Schluß auch versöhnt in die Arme, solidarisiert gegen die „Leute, die du nie in der U-Bahn triffst“.

Eine zusammengewürfelte Truppe von 30 StudentInnen, Arbeitslosen und Berufstätigen hat ein Jahr lang an diesem offenen Projekt des Fachs Musik der Uni gearbeitet: Mit diesem aufwendigen und gelungenen Stück wird

demonstriert, daß das Fach sich nicht von den Streichungsplänen der Landesregierung unterkriegen lassen will.

Die Rollenausgestaltung der eng an die ursprüngliche Grips -Theater-Fassung angelehnten Inszenierung entstand in improvisierten Gruppenprozessen, die zum Ganzen montiert wurden. Die starke Identifizierung mit dem Stück, der Spaß am Spiel, den es so in einem Staatstheater gar nicht geben kann, springt aufs Publikum über, und bewirkt, daß man manch überforderte Gesangsstimme als authentischen Ausdruck akzeptieren kann.

Achim Könneke

Linie 1: Am 6., 7., 9., 10.3., 20 Uhr, Aula Uni OL

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