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Chaos im Olympiastadion

■ Hertha gewann verdient mit 3:0 / Andi K., stellvertretender Kreisvorsitzender der REPs, wurde festgenommen / Hertha-Torwart Junghans hatte Haarprobleme

Daß man mit Nervosität, Chaos und etwas Glück Fußballspiele gewinnen kann, bewiesen die Zweitligakicker der Hertha am Sonnabend im Olympiastadion gegen die Spielvereinigung aus Bayreuth. In diesem für beide Mannschaften wichtigen Spiel gegen den Abstieg siegten die Berliner klar mit 3:0 gegen die Tabellennachbarn und bleiben dieses Jahr weiterhin ungeschlagen.

Die oft als Gurkentruppe gehandelten Herthaner begannen, trotz zahlreicher Ausfälle durch Verletzungen und Sperre, erstaunlich stark. Zwar fehlte im Mittelfeld jemand mit Kopf und Überblick, davon ließen sich die Herthaner jedoch nicht beirren und bestürmten chaotisch, aber entschlossen das Bayreuther Tor. Bei diesen Versuchen traf Gowitzke einen vor dem leeren Tor stehenden Bayreuther, und Libero Grieser hätte einen Flankenball glatt in Richtung Auslinie geköpft, wenn er ein wenig größer wäre.

Nach 25 vergebenen Minuten ditschte Gowitzke, der laut Fuchs „viel zuviel gelaufen“ war, die heiß umkämpfte Lederkugel genau vor die Buffer des freudig erregten Kretschmer, der seine aufgestaute Energie dazu nutzte, den Ball aus zwölf Metern ins Tor zu dreschen. Da kam Freude auf unter den 4.588 frierenden Zuschauern und Erstaunen über die Fans auf der Gegengerade: Denn die erweiterten ihren Wortschatz und riefen in einwandfreiem Deutsch immer wieder „Tor, Tor“ statt wie sonst „Republikaner, Republikaner“, was sich ja nicht unbedingt ausschließt.

Vier dieser Froh- und Schwachsinn verbreitenden Dampfmännlein wurden wegen Tragens von NS-Symbolen und „Sieg Heil„-Rufens festgenommen, darunter übrigens auch ein gewisser Andi K., stellvertretender Kreisvorsitzender der REPs im Märkischen Viertel. Empört ob solcher Frechheiten gegenüber dem sauberen Sport, schüttelten viele den Kopf in Richtung Spielfeld und sahen eine noch zurückhaltender gewordene Bayreuther Mannschaft, die ihren Tormann Grüner zur Hauptspielstation bestimmt hatte, während Kollege Junghans auf der anderen Seite befriedigt feststellen konnte, daß seine Frisur mangels Glanzparaden immer noch einwandfrei saß.

Nach der Pause brauchte die Hertha nur noch eine Minute, um alles klar zu machen. Erst banante Grieser die Pille über Torwart und Latte, dann aber trat Gowitzke den Ball in Richtung Strafraumlinie, während Brefort schon zehn Meter Anlauf genommen hatte, um den Ball volley ins Netz zu ballern. Sportkamerad Gries machte gleich nach dem Anstoß mit einem alten Fußballertrick den Sieg perfekt. Wiederumn hatte Gowitzke es geschafft, in den Strafraum zu flanken, wo Gries beschäftigungslos stand und den Ball so genial mit der Picke traf, daß der erstaunlicherweise an vier Gegnern vorbei ins Tor eierte.

Nun hatten die Herthaner keine Lust mehr, während den Gästen klar wurde, daß sie verlieren könnten und die letzten 20 Minuten fast ohne Pause das Berliner Tor bestürmten. Dabei trafen sie einmal die Latte, zweimal den Pfosten, viermal die Bandenwerbung und noch öfter Walter Junghans, der nun doch noch fleißig seinen Kamm benutzen mußte.

Fazit: Hertha trennen nur noch neun Punkte vom Aufstiegsplatz in die erste Liga und schon derer drei vom Abstieg, die Zuschauer werden immer weniger, die Nazis darunter mehr, aber, wie der weise ZDF-Sülzsack Rolf Kramer oft so richtig schlußfolgerte: „Was soll's.“

Schmiernick

Hertha BSC: Junghans - Greiser - Niebel, Kaminski - Rinke, Brefort, Mischke, Gries, Gowitzke (81. Freudenstein) Kurtenbach, Kretschmer (73. Lünsmann)

SpVgg. Bayreuth: Grüner - Dumpert - Konradi, von Aufseß Veh, Schneider (80. Anweiler), Jalocha, Wolff, Gebhardt Sachs (70. Li Hui), Scheler

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