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Zitate aus Dellwo-Brief kräftig manipuliert

In verschiedenen Zeitungen tauchten Zitate aus einem Brief des RAF-Gefangenen Karl-Heinz Dellwo auf, die offenbar aus dem Zusammenhang gerissen und verkürzt wurden / Erste Interpretationen der Hungerstreikerklärung vom 1.Februar werden so revidiert  ■  Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) - Haben die Gefangenen aus der „Rote Armee Fraktion“ und andere politische Gefangene mit der Erklärung zu ihrem gegenwärtigen Hungerstreik den „ideologischen Bunker verlassen“ (taz) oder wird nur „das alte Lied von Terror und Gewalt“ (Die Welt) gespielt? Die von Helmut Pohl unterzeichnete Hungerstreik-Erklärung von Anfang Februar, anfangs beinahe einhellig als „neue Qualität“ (Süddeutsche Zeitung) und Zäsur gegenüber den vorangegangenen neun Hungerstreiks verstanden, wird inzwischen von Teilen der Presse kräftig uminterpretiert. Dabei wird mit zum Teil aus dem Zusammenhang gerissenen Äußerungen eines anderen Gefangenen und zum Teil falschen Zitaten versucht, den ersten Eindruck zu relativieren.

Vergangenen Montag veröffentlichte der 'Spiegel‘ fast vier Wochen nach Aufnahme des Hungerstreiks, Zitate aus einem Schreiben Karl-Heinz Dellwos (siehe Dokumentation). Laut 'Spiegel‘ fiel das Dellwo-Papier „den Fahndern in die Hände“. Tatsächlich war der Brief längst in der Szene bekannt, zumal Dellwo diesen Brief seiner Erklärung zur Wiederaufnahme seines Hungerstreiks vom 15.Februar beigefügt hatte. Das Schreiben ist zur Zeit auch Gegenstand von Diskussionen innerhalb der Unterstützer-Szene.

Als Beweis für eine „andere Richtung“ behauptet der 'Spiegel‘, Dellwo formuliere in dem Schreiben „ganz offen“: „Wir wollen die kapitalistische Gesellschaft zum Angriffsziel machen und sie umwälzen.“ Tatsächlich argumentiert Dellwo in der fraglichen Passage, der Normalvollzug sei für die politischen Gefangenen immer nur unter der Voraussetzung einer vorherigen „Kapitulation“ erreichbar gewesen. „Wir werden nicht verfolgt, weil wir in der Isolation sitzen“, schreibt Dellwo, „sondern wir sitzen in der Isolation, weil wir die kapitalistische Gesellschaft zum Angriffsziel machen und sie umwälzen wollen.“

Offener noch als in diesem Fall greift das Hamburger Nachrichtenmagazin mit seinem zweiten Dellwo-Zitat zum Mittel der Manipulation: „'Das Aufsprengen des Betongehäuses der Macht‘ bleibe Ziel des bewaffneten Kampfes.“ In Dellwos Originaltext lautet die Passage: „Es geht um die Auflösung eines elenden Kontinuums, welches nicht nur den Knast betrifft, sondern die gesamte Gesellschaft: Um das Aufsprengen des Betongehäuses der Macht, um die kollektive Selbstorganisation von unten gegen ein totalitäres System.“ Der Begriff „bewaffneter Kampf“ kommt in Dellwos Text nicht vor.

Bereits unmittelbar nach Beginn des Hungerstreiks hatte die Springer-Zeitung 'Hamburger Abendblatt‘ am 3.Februar die Interpretation parat und sich von Rebmanns Sprecher Prechtel bestätigen lassen, daß „die Devise der RAF, den Kampf 'drinnen und draußen‘ zu führen“, nicht aufgegeben worden sei. Zum Beweis unterschob das Blatt den Gefangenen einen Satz, der in der Hungerstreikerklärung überhaupt nicht vorkommt. Pohl habe in der Erklärung „die Fortsetzung des politischen Kampfes und der Praxis“ angekündigt. „Praxis“ sei in der RAF-Terminologie der Begriff für weitere Attentate. Das erfundene Zitat diente tags darauf der 'Welt‘ als Beweis für das eingangs zitierte Urteil vom „alten Lied von Terror und Gewalt“.

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