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Gitter gegen polnische Wurst

Berliner Behörden verpassen ertappten „Schwarz„händlern Stempel in die Ausweise, um die Wiedereinreise zu verhindern / Polnischer Zoll wies 2.000 Händler an Grenze zurück / Schwarzmarktfeeling für Berliner  ■  Von Claus Christian Malzahn

Berlin (taz) - Mit einem „antipolnischen Schutzwall“ haben Westberliner Behörden am Wochenende auf den Andrang handelswilliger polnischer Staatsbürger reagiert. Während das ehemalige Zentrum Berlins, der Potsdamer Platz und seine Umgebung, vor einer Woche noch eine Wiedergeburt als türkisch-polnisch-deutscher Kleinhandelsplatz erlebte, wurde der potentielle Marktplatz vor der Berliner Mauer jetzt mit meterhohen Drahtzäunen abgeriegelt.

Über 2.000 Polen wurden an der polnischen Grenze zur DDR von ihren eigenen Leuten wieder nach Hause geschickt. Auch der West-berliner Zoll ging am Wochenende hart gegen die polnischen Besucher vor: 280 Polizeibeamte patroullierten in der Gegend um den Potsdamer Platz; wo immerhin noch rund 5.000 TouristInnen aus der Volksrepublik versuchten, Vasen, Lebensmittel, Kleidung oder Zigaretten gegen Westmark zu verscherbeln. Rund 300 Polen wurden erwischt und wegen „illegalen Handelns“ ausgewiesen. Die Betroffenen erhielten einen roten Stempel in ihren Ausweis; damit ist ihnen eine künftige Einreise nach West-Berlin verwehrt. Gegen diese Stempelpraxis protestierte gestern der AL-Pressesprecher Stefan Noe: „Wir hatten schon einmal Stempel und gelbe Sterne in Deutschland; das ist ein unmögliches und inhumanes Vorgehen der Behörden.“

Trotz des großen Aufgebotes an Saubermännern in Zivil und Uniform, glich der Polizeieinsatz meist einem Kampf gegen Windmühlen. Die flinken Händler aus Polen hatten ihre Waren in Tragetaschen versteckt und lösten sich - so schien es jedenfalls - sofort in Luft auf, wenn eine Polizeimütze in Sicht kam. Der Handel wurde dann - zur allgemeinen Erheiterung der Schwarzmarktbesucher -, ein paar Meter weiter im Menschengewühl fortgesetzt. Unter den Marktgängern waren am Wochenende bemerkenswert viele ältere Berliner, die sich offenbar auf einen regressiven Trip begeben hatten: „Det is ja wie nach'm Krieg hier!“ Daß nun auch die polnischen Behörden hart durchgreifen, hängt offenbar mit der schwierigen Versorgungslage zusammen. Seit Anfang März hat der Zoll in Polen Anweisung, Reisende in Richtung Westen genau zu kontrollieren. An Lebensmitteln darf nur ausgeführt werden, was unmittelbar für die Reise benötigt wird.

Daß ausgerechnet die Insel der Freiheit Besuchern aus dem Ostblock den Eintritt verwehrt, sorgt in der Frontstadt für ideologische Kapriolen. Laut alliierter Bestimmung dürfen sich Einwohner von Ostblockländern bis zu 31 Tage ohne amtliche Genehmigung in West-Berlin aufhalten. Das gelte aber nicht für Handel treibende Polen, erklärte ein Sprecher des Innensenats. Auch die Republikaner, sonst stramme Wiedervereiniger und Freunde und Helfer geknechteter Bürger sozialistischer Staaten, machen jetzt Stimmung gegen die Berlin-Besucher: Händler ohne Standgenehmigung sollen „mit Amtshilfe der Polizei sofort entfernt“ werden, forderten sie am Wochenende.

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