: taz-intern: Auch wir sind autonom
■ UnterstützerInnen des RAF-Hungerstreiks testeten ihren Einfluß auf die taz-Berichterstattung aus Unabhängigkeit der Zeitung und redaktionelle Eigenverantwortung sind unteilbar
Sie steht wieder auf der Tagesordnung, die Frage nach dem Verhältnis der taz zu den diversen oppositionellen Bewegungen in diesem Land. Und wie fast immer in solchen Fällen verläuft die Konfliktlinie dort, wo die taz die Unabhängigkeit ihrer Berichterstattung gegen mehr oder weniger massive Versuche politischer Gruppen verteidigt, dem Blatt deren jeweilige „Linie“ aufzudrücken. Vor dem Hintergrund des zehnten Hungerstreiks von politischen Gefangenen aus dem Organisationszusammenhang der RAF, bekam die taz am Donnerstag Besuch. 50 bis 60 UnterstützerInnen des Hungerstreiks forderten von der Redaktion, ihnen täglich eine Seite in eigener Regie zu überlassen. Nach leicht aggressivem Geplänkel, wurde die Diskussion darüber auf den Abend vertagt. Abziehen werde man aber nicht, machten die „Gäste“ deutlich, forderten einen Raum und fanden schließlich Aufnahme in der Abo-Verwaltung.
„Wir sind Menschen aus unterschiedlichen autonomen, antiimperialistischen Zusammenhängen in West-Berlin“, konnten die tazzen in einer vierseitigen Erklärung lesen den LeserInnen mittlerweile durch die Dokumentationsseite in der Samstagsausgabe bekannt. Sie erfuhren weiteres: „Wir nehmen uns die Seite.“ Der Zweck: „eine lebendige, authentische Berichterstattung“.
Da machte es dann gar keinen Eindruck, als taz -RedakteurInnen am Abend die Planung für eine breite Berichterstattung zum Hungerstreik vorstellten und den Grundsatz der radaktionellen Verantwortung für alles, was im Blatt steht, und fallweisen Entscheidung über Artikel und Dokumentationen erläuterten. Aber es war nicht nur der Druck der „Gäste“, der gegen Mitternacht einen komplizierten Kompromiß hervorbrachte, Druck bedeutete auch die taz -interne Uneinigkeit: ein eher kleiner Teil der Projektmitglieder, der immer wieder auf die Erfüllung der Forderung gedrängt hatte, stimmte mit den tazlern, die eine Kooperation mit der Unterstützergruppe ausprobieren wollte, dafür, in zwei Wochen vier taz-Seiten mit der Gruppe zu produzieren. Die Bedenken, daß „Kooperation“ die Quadratur des Kreises bedeutet, bei einer Gruppe, die vor allem „Authentizität“ auf ihre Fahne geschrieben hat und die Sorge, daß mit der Seite vielmehr die logistische Basis für optimale Flugblattverbreitung angestrebt werde, fanden nur wenige offene Ohren.
Die Prozeduren des folgenden Tages zeigten, was ein Kompromiß unter Druck wert ist: da gibt es nicht mal Sollbruchstellen. In hektischen Diskussionen versuchten die taz-MitarbeiterInnen sowohl Kompromiß-Formulierungen für den Erklärungstext auszuhandeln, wie auch untereinander und mit der Gruppe die Beschlüsse vom Vorabend per Interpretation fester zu machen. Eskalation war vorprogrammiert, denn nun ging es den „Gästen“ partout darum, diese Seite schon in der Samstagsausgabe zu sehen. Druck und Drängen nahmen zu, bis ein neues Ultimatum kam: drei Seiten wöchentlich ohne redaktionelle Einmischung, ansonsten ziehe man jetzt ab: „Ihr werdet von uns hören!“
Weil das Projekt seiner Meinung nach nicht entscheidungsfähig war, überstimmte der Vorstand die Redaktionsleitung und beschloß als Geste zur De-Eskalation den sofortigen Abdruck der geforderten Seite. Gleichzeitig wurde ein taz-internes Plenum für Sonntag abend angesetzt, wo das weitere Verfahren endgültig entschieden werden soll. Da die Unterstützergruppe noch am Freitag nachmittag damit begonnenen hatte, die neue Forderung nach Verfügung über drei taz-Seiten wöchentlich über das taz-Faxgerät in alle Welt zu verbreiten, sah der Vorstand gestern diese Kooperationsbasis nicht mehr gegeben: die Unterstützergruppe wurde gebeten, das Haus zu verlassen.
Georgia Tornow
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