Sprengsätze im Capitol

Sie sind winzig, aber es gibt sie: Bewaffnete Widerstandsgruppen haben in der Reagan-Ära Anschläge auf Regierungsstellen und Rüstungsproduzenten verübt In den US-Medien werden die Anschläge totgeschwiegen / Im April soll unter strengen Sicherheitsvorkehrungen der „Capitol-Bombing-Prozeß“ beginnen  ■  Von Heike Kleffner

„Bewaffneter Widerstand in unserem Land - nie etwas davon gehört„; „Da war aber doch mal etwas - dieser 'Weather Underground‘, aber ich kann mich nicht mehr so genau daran erinnern.“ So oder ähnlich lauten die Kommentare auch von progressiven Amerikanern zu der Frage nach einem bewaffneten Widerstand in den USA. Statt dessen wird auf die lange Tradition des zivilen Ungehorsams und gewaltfreien Widerstandes hingewiesen.

Doch ausgelöst durch den bevorstehenden Prozeß gegen sieben angebliche Mitglieder bewaffneter Untergrundorganisationen wegen eines Bombenanschlages auf das Capitol in Washington D.C. im Dezember 1983, wird das Thema seit einiger Zeit wieder diskutiert.

Die Geschichte des bewaffneten Kampfes reicht bis zu den ersten Sklavenaufständen Mitte des 19.Jahrhunderts zurück. Auch die „nationale Armee zur Befreiung Puerto Ricos“, die „Schwarze Befreiungsarmee“ und der „Weather Underground“ haben in den siebziger Jahren dieses Jahrhunderts immer wieder durch bewaffnete Aktionen Aufsehen erregt. Doch die Berührungsängste der Linken nach acht Jahren Reagan mit allem, was als „terroristisch“ gebrandmarkt werden könnte, verhindert eine offene Diskussion sowohl über die Geschichte des bewaffneten Kampfes in den USA als auch über deren jüngste Manifestation - eine Serie von circa 20 Bombenanschlägen auf militärische und industrielle Einrichtungen sowie Überfälle auf Geldtransporter an der Ostküste zwischen 1981 und 1985. 30 bis 50 Personen werden zum engeren Kreis dieser Widerstandsgruppen gezählt. Die Serie der Anschläge begann am 16.Dezember 1982 mit Bombenanschlägen auf ein IBM-Bürogebäude sowie auf das südafrikanische Konsulat in New York City. In einem Bekennerschreiben übernahm die „United Freedom Front“ die Verantwortung für die Anschläge.

„Red Guerilla Resistance“

In der Hoffnung auf einen allgemeinen Radikalisierungsprozeß im Zuge der ersten Massenproteste gegen die Interventionspolitik der Reagan-Administration in Mittelamerika begannen sich 1981 verschiedene antiimperialistische Untergrundgruppen zu organisieren. Die meisten Mitglieder der vier bekanntesten Gruppen - „United Freedom Front“, „Red Guerilla Resistance“, „Armed Resistance Unit“ sowie der „Revolutionary Fighting Group“ - waren langjährige AktivistInnen aus dem weißen Mittelstand. Sie gingen davon aus, daß ein Erfolg der dualen Strategie der sogenannten Low-intensity-Kriegsführung der US-Militärs in den Ländern der Dritten Welt und in den USA selbst nur durch den bewaffneten Kampf auch in den USA verhindert werden könne.

In einer Publikation verschiedener Kommuniques verweisen die vier Gruppen darauf, daß sie jegliche Gewaltanwendung gegen ZivilistInnen ablehnen. Tatsächlich kamen bei keinem der Anschläge Menschen zu Schaden. Doch die Kommunikation mit denjenigen AktivistInnen, die davon überzeugt sind, durch Lobbying von Parlamentsabgeordneten, Massendemonstration und gewaltfreien zivilen Ungehorsam eine Veränderung in der Politik der Reagan-Administration herbeiführen zu können, fand nicht statt.

Schon nach dem ersten Anschlag auf IBM versandte das FBI ein Memorandum an alle Zeitungen und Massenmedien, die Bekennerbriefe nicht zu publizieren. Auch linke Publikationen wie die Wochenzeitung 'Guardian‘ unterließen jegliche Berichterstattung über die Aktivitäten der Guerilla. Darüber hinaus dehnte das FBI den Aktionsradius der 1979 von FBI und Polizei gebildeten Anti-Terror -Einheiten (Joint Terrorist Task Forces) auf alle Großstädte der USA aus. Zeitungsleser erfuhren zwar hin und wieder von Bomben in militärischen Einrichtungen, ohne daß jedoch politische Zusammenhänge dargestellt wurden.

Mit dem Höhepunkt der amerikanischen Intervention in El Salvador intensivierten die bewaffneten Gruppen auch ihren Widerstand in den USA. 1983 fanden insgesamt zehn Aktionen statt, darunter Anschläge auf das Inter American Defense College und die National Defense Academy in Washington D.C.; Einrichtungen, in denen lateinamerikanische Militärs von den USA in Aufstandsbekämpfungstaktiken und Foltermethoden ausgebildet werden. Vereinzelte Mitglieder der „Armed Resistance Unit“ schlossen sich der FLMN in El Salvador an.

Rüstungsfirmen bevorzugt

Die wohl spektakulärste Aktion fand im November 1983 als Antwort auf die US-Invasion in Grenada statt. Einem Kommando der „Armed Resistance Unit“ gelang es, zwei Sprengsätze im Capitolgebäude zu installieren. Bei der anschließenden Explosion kam es zu hohem Sachschaden (rund 280.000 Dollar). Trotz einer intensiven Fahndungsaktion des FBI in sieben Bundesstaaten operierten die Gruppen weiterhin ungestört. Die Bombenanschläge gingen weiter, wobei sie sich 1984 vor allem auf große Rüstungsproduzenten wie Honeywell, Motorola Cooperation, General Electric und IBM konzentrierten.

Ende 1984 gelang dem FBI der erste Fahndungserfolg mit der Verhaftung von Susan Rosenberg und Tim Blunk in New Jersey. Innerhalb weniger Wochen folgten die Festnahmen von Linda Evans und Marilyn Buck im Mai 1985, von Alan Berkman und Ann Betty Duke in Philadelphia sowie Laura Whitehorn in New Jersey. Weitere Verhaftungen im sogenannten „halblegalen Umfeld“ folgten.

In den nachfolgenden Gerichtsprozessen konnten den Angeklagten keinerlei Beteiligung an den verschiedenen Sprengstoffanschlägen nachgewiesen werden. Statt dessen wurden sie wegen sogenannter „krimineller“ Vergehen verurteilt. Linda Evans zum Beispiel wurde 1987 wegen illegalen Waffenkaufs in New Orleans zu 45 Jahren Haft verurteilt. Susan Rosenberg und Tim Blunk wurden wegen Besitzes von zwölf Gewehren und 300 Kilogramm Sprengstoff zum Zeitpunkt der Verhaftung zu jeweils 58 Jahren Gefängnis verurteilt.

Marilyn Buck, Alan Berkman und Laura Whitehorn befinden sich drei Jahre nach ihrer Verhaftung noch immer in Untersuchungshaft. Erst im März 1988 wurden sie zusammen mit Linda Evans, Susan Rosenberg und Laura Whitehorn der Beteiligung an dem Bombenanschlag auf das Capitolgebäude sowie der Mitgliedschaft in einer umstürzlerischen Organisation angeklagt. Die Gefangenen sind seit Mitte Mai 1988 im Stadtgefängnis von Washington D.C. untergebracht und warten auf den Beginn des „Capitol-Bombing-Prozesses“.

Alle bisherigen Gerichtsprozesse gegen Mitglieder des bewaffneten Widerstandes verliefen nach Wunsch des FBI. Eine Berichterstattung in den Massenmedien fand nicht statt, und die hohen Haftstrafen dienen als Abschreckung. Aber es erscheint als fraglich, ob die Taktik des FBI auch beim bevorstehenden „Capitol-Bombing-Prozeß“ erfolgreich sein wird.

Nachdem Ende 1987 erstmals Informationen über die Haftbedingungen der sechs Gefangenen an die Öffentlichkeit drangen, haben sich in verschiedenen Städten Solidaritätskomitees gegründet, die versuchen, bis zum Prozeß, der voraussichtlich im April 1989 stattfinden soll, Öffentlichkeit zu schaffen.

1987 hatte eine Delegation der amerikanischen Sektion des Weltkirchenrates Susan Rosenberg im Isolationstrakt des Hochsicherheitsgefängnisses von Lexington im Bundesstaat Kentucky besuchen können. In dem Isolationstrakt, der nach dem Vorbild von Stammheim gebaut worden ist, war Susan Rosenberg zusammen mit Silvia Baraldini und Alejandrina Torres, zwei Frauen der puertoricanischen Befreiungsbewegung, für eineinhalb Jahre inhaftiert. Systematische sensorische Deprivation, sexuelle Belästigungen durch männliches Gefängnispersonal und mangelhafte medizinische Betreuung haben bei den drei Frauen zu hohen Gewichtsverlusten, Konzentrationsstörungen, Schlaflosigkeit und psychischer Erschöpfung geführt.

Die „American Civil Liberties Union (ACLU)“, eine liberale Bürgerrechtsvereinigung, hatte daraufhin eine Klage wegen unmenschlicher Haftbedingungen gegen die US-Justizbehörde eingereicht. Inzwischen hat ein Bundesgericht angeordnet, den Isolationstrakt in Lexington zu schließen. Zur Zeit befindet sich aber schon ein neues Hochsicherheitsgefängnis für 200 politische Gefangene in Florida im Bau, das Ende 1989 bezugsfertig sein wird.

Unter den anderen Gefangenen, die zum Teil schon seit mehr als 15 Jahren, meist wegen Polizistenmord, im Gefängnis sind, befinden sich Angehörige der „Black Panther“, Mitglieder der puertoricanischen Befreiuungsbewegung und des American Indian Movement.

Der Sitz der Black Panther in Baltimore - leider vor 21 Jahren aufgenommen.

Foto: Christoph + Mayer

DIENSTAG, 7/3/89AUSLAND HINTERGRUND9