: Angeklagter zog Aussage zurück
Michael K. im Frankfurter Startbahn-Prozeß: „Ich schäme mich! Es tut mir leid“ / Aussagen kamen bei Übermüdung und unter polizeilichem Druck zustande / Streit um Aussageverweigerung eines Polizeibeamten ■ Aus Frankfurt Heide Platen
In einer überraschenden, langen und persönlich gehaltenen Erklärung zog gestern Vormittag der Angeklagte Michael K. im Frankfurter Startbahnprozeß seine Aussagen zurück. Er habe einige seiner acht Mitangeklagten vor Polizei und Bundesanwaltschaft nur deshalb belastet, weil er unter „physischen und psychischen Druck“ gesetzt worden sei. „Ich schäme mich! Es tut mir leid“, sagte K. Dies gelte sowohl für Aussagen über die Polizeiwaffe, mit der am 2.November 1987 an der Startbahn West zwei Polizisten erschossen worden waren, als auch für seine Aussagen über das Absägen von Strommasten. In Wirklichkeit habe er „nie etwas von einer Waffe gehört und nie was drüber gesagt“. Seine teils „absoluten Falschaussagen“ seien „als Preis für das Entgegenkommen“ der Beamten von ihm erzwungen worden. Sie hätten ihm mit Repressalien gedroht. Er habe sich schon vor den Schüssen aus der Bewegung „ins Private“ zurückgezogen, geheiratet und regelmäßig gearbeitet. Viele in der Bewegung hätten ihren individuellen Rückzug praktiziert, aber darüber nicht diskutiert: „Die Startbahnbewegung hat ihren eigenen Endpunkt verpaßt, und wir haben das nicht wahrhaben wollen.“ Für die Schüsse sei er deshalb „nicht eine Minute bereit, meinen Kopf dafür hinzuhalten“. Seine Aussage, so K., ziehe er aus eigenem Entschluß und nicht wegen des Drucks „von außen“ zurück, obwohl er „schon im Vorfeld als Verräter“ abgestempelt worden sei. Er sehe sich moralisch mitschuldig an der Entwicklung bis zum 2.November 1987.
Bei einem Strommast, erklärte K. weiter, sei er dabei gewesen. Er werte das aber nicht, wie die Bundesanwaltschaft, als einen lange vorbereiteten Anschlag. Es seien dazu nur „Wut im Bauch und eine Eisensäge“ notwendig gewesen. Dann gehe das so einfach, wie „einen Baum umzusägen“. Zu dieser Tat stehe er, wolle sie aber nicht wieder begehen.
Rechtsanwalt Bremer beantragte anschließend, die polizeilichen Aussagen seines Mandanten vor Gericht nicht zu verwerten, weil sie unrechtmäßig zustande gekommen seien. Bundesanwalt Pflieger konterte die Erklärung von Michael K.: „Aufrecht gehen kann nur derjenige, der ein Rückgrat hat!“ K. aber sei nur wegen des Drucks der StartbahngegnerInnen umgefallen. Dies werde auch durch das Verhalten der ZuschauerInnen deutlich. Mit der nach seiner Ansicht großen Gefährlichkeit des Publikums argumentierte Pflieger auch, um den ersten Zeugen des Verfahrens zu unterstützen.
Der Kriminalbeamte G. aus Hanau hatte sich gegen den Widerstand der 18 VerteidigerInnen beharrlich geweigert, seinen Wohnort zu nennen. Dies, so Rechtsanwalt Armin Golzem, „versaut das Prozeßklima“. Die „Belustigung der Zuschauer“ könne nicht „in Haß umgedeutet“ werden. Rechtsanwalt Baier zitierte zum Atmosphärischen den hessischen Innenminister Milde, der seiner Genugtuung darüber Ausdruck gegeben hatte, daß in Frankfurt der „Prozeß gegen die Startbahnmörder“ stattfinde. Die VerteidigerInnen monierten einhellig die Aussageverweigerung des Polizeibeamten. Dieses Ausnahmerecht könne nicht generell in ein Sonderrecht für diesen Berufsstand umgedeutet werden.
Kontroversen gab es zwischen Bundesanwaltschaft und Verteidigung auch darum, ob die Angeklagten während der Verhandlungspausen miteinander reden dürfen oder nicht. Justizbedienstete hatten unter Protesten der ZuschauerInnen ein paar Mal den Versuch unternommen, Angeklagte im Gerichtssaal zu trennen.
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