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„Jetzt beginnt die Politik der Nadelstiche“

In der jugoslawischen Hauptstadt Belgrad ist der Groll auf das reiche und liberale Slowenien allgegenwärtig Die nationalistische Stimmung wächst / Gerüchte sprechen von einem möglichen ökonomischen Boykott gegen Slowenien  ■  Aus Ljubljana E.Rathfelder

Als sie an die Kasse des Supermarktes in der Belgrader Innenstadt kommt, fangen die Leute an zu tuscheln. Erst als die Kundin ihre Waren vor der Kasse aufreiht, kommt es zum Protest. Stein des Anstoßes: das Shampoo Marke „Klas“, ein slowenisches Produkt. „So etwas sollten wir hier gar nicht mehr kaufen. Die Slowenen helfen uns ja auch nicht“, bricht es aus einem der Kunden hervor.

Nachdem die nationalistische Kampagne gegen die Kosovo -Albaner hohe Wellen schlug, richtet sich die serbische Volksseele nun gegen die Slowenen, die sich zu Zehntausenden mit den Albanern solidarisiert hatten. „Konterrevolutionäre“ seien sie, „Separatisten“, die das jugoslawische Vaterland verraten und sich am liebsten von Jugoslawien lossagen würden. In Belgrad, zugleich Hauptstadt Serbiens, ist der Groll auf Slowenien, die reichste und auch liberalste Teilrepublik Jugoslawiens, allgegenwärtig.

Noch sind die Protestaktionen unkoordiniert. Von oben sind keine Weisungen dafür ergangen. „Doch das kann sich schnell ändern. Schon jetzt sollen einzelne slowenische Firmen einen Wink aus Serbien bekommen haben, in kurzer Zeit könnten die langfristig ausgehandelten Lieferverträge storniert werden. Doch sind das Gerüchte, die von einzelnen Betriebsleitern hinter vorgehaltener Hand weitergegeben werden. Vielleicht will die serbische Führung so den Hebel ansetzen, um in Slowenien auch politisch zu intervenieren.“ Rado Riha, ein Wissenschaftler vom Institut für Marxismus-Leninismus und politisch der starken alternativ-oppositionellen Bewegung zuzuordnen, sieht auch in der slowenischen Partei genug Leute, die bereit sind, den Demokratisierungskurs wieder zu stoppen. Die vor dem jetzigen Parteichef Kucan herrschende Riege könnte so wieder aus der Isolierung treten.

Energisch widerspricht dem Leo Kreft, einer, der es wissen müßte. Kreft, Mitglied des ZK der slowenischen Partei und im wissenschaftlichen Braintrust tätig, verweist solche Spekulationen in den Bereich der Phantasie. Wenn die serbische Führung mit dem Mittel des ökonomischen Boykotts gegen Slowenien vorgehen wollte, schnitte sie sich ins eigene Fleisch. Denn die slowenische Industrie ist es, die im Außenhandel für positive Zahlungsbilanzen sorgt und auch in Zukunft ihren Anteil weiter ausbauen wird. Auch die Rohstoffe, die Slowenien aus Serbien und aus Bosnien bezieht, könnten anderswo beschafft werden. Die Preise für die Elektrizität, die Slowenien aus Serbien bezieht, lägen zur Zeit ohnehin über dem Weltmarktniveau. Slowenien brauche vor einem solchen Konflikt weniger Angst zu haben als die Serben, so sein Resümee. „Jetzt beginnt die Politik der Nadelstiche. Den Slowenen wird in bekannter Manier von serbischer Seite Separatismus vorgeworfen, aber in Belgrad wird alles getan, um uns hier in Slowenien von Serbien zu isolieren“, entrüstet sich Tomasz Mastnak, Wissenschaftler und Theoretiker der demokratischen Opposition in Ljubljana.

Auch in Slowenien wächst die nationalistische Stimmung: Seit es dem serbischen Parteichef Milosevic vorige Woche gelungen ist, die Macht im Kosovo zu übernehmen und die albanische Parteiführung dort auszuhebeln, sehen nicht mehr ausschließlich die linken Intellektuellen in diesem Vorgehen ein Modell für die Repression auch gegen Slowenien. „Scheibchen für Scheibchen wurde in der Vojvodina, in Montenegro und jetzt im Kosovo die Macht der alten Führungen beschnitten“, analysiert auch Ramon Lavtar die politische Situation. Er, der offiziell für die „Union der sozialisischen Jugend Sloweniens“ sprechen kann, und als Führungsmitglied der kommunistischen Jugendorganisation einen guten Einblick in das Parteileben hat, hält es aber für sehr unwahrscheinlich, daß Milosevic in der slowenischen Partei Helfershelfer für seine Politik finden wird: „Die Widerstände kommen aus einer anderen Ecke.“

Die Parteiführung ist geschlossen für die Reformen des ökonomischen und politischen Systems. Doch immer noch gibt es auf unterer Ebene Leute, die die von oben initiierten Reformprojekte verwässern. Wenn es jedoch um das Verhältnis zu Serbien geht, können sich auch diese Kräfte der nationalen Interessenslage nicht verschließen.“

Die unterschiedlichen Strömungen der slowenischen Gesellschaft sind zusammengerückt: Am Montag vor einer Woche, noch vor der Demonstration der Milosevic-Anhänger vor dem Bundesparlament in Belgrad, in der riesigen Halle des Cankarger Doms Repräsentanten der slowenischen Partei und der demokratischen Opposition gemeinsam eine Veranstaltung durchführten, wurde ein politisches Signal gesetzt. 17 Redner aus den offiziell zugelassenen politischen Organisationen, der Sozialistischen Allianz, den Menschenrechtsguppen, der Partei und der Jugendorganisation zeigten in der vom Fernsehen übertragenen Veranstaltung Gemeinsamkeit. „Es wurde deutlich gemacht, daß trotz aller politischen Unterschiede die slowenischen Organisationen zusammenstehen.“

Das war in der Tat eine neue Qualität in den Beziehungen zwischen Partei und Opposition. Die Partei hat Zeichen gesetzt, und wir alle müssen lernen, Kompromisse einzugehen.“ Für Tomasz Mastnak war dies ein historisches Datum. Auch der Parteitheoretiker Kreft und Ramon Lavtar stimmten dem zu. Partei und Opposition stehen gemeinsam gegen Milosevic.

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