: Vom Heiligen wider Willen
■ Der türkische Film „Eisenerde - Kupferhimmel“ von Zülfü Livaneli erzählt davon, wie sich ein Volk in der Not einen Heiligen schafft / Peter Schulze (RB) als Dorfnarr
Das entlegene, eingeschneite Bergdorf ist eine abgeschloßene Welt; nur am Anfang und am Ende des Films dringen Menschen von außen in diesen Mikrokosmos ein. Vor dem Schuldeneintreiber verstecken sich alle Einwohner, und haben danach ständig Angst, er werde wiederkommen, ihnen ihre letzten Ersparnisse nehmen, und sie im strengen Winter verhungern lassen. Der Bürgermeister gibt
schlechte Anordnungen, nur der kluge Bauer Tashbash widersetzt sich dessen Intrigen. Und nachdem die Dörfler immer stärker das Gefühl haben, ihr Ort sei verflucht, wenden sie sich mit all ihren Hoffnungen auf ihn, machen ihn zu ihrer Erlöserfigur, die angebetet wird und sich in übernatürlichen Erscheinungen zu offenbaren scheint. Tashbash wehrt sich mit allen Mitteln gegen den Heiligenschein, aber das gesamte
Dorf schafft in wenigen Tagen einen kompletten Kult um ihn herum, selbst seine Ehefrau will nicht mehr mit ihm schlafen, sondern ihn huldigen. Indem sie sich einen Heiligen schafft, vernichtet die Gemeinschaft letztlich den Menschen Tashbash.
Der in seiner Heimat als Sänger, Komponist und Schriftsteller berühmte Zülfü Livaneli verfaßte die Filmmusik zu Yilmanz Günney's Yol und scheint mit seinem
ersten eigenen Film dessen Reihe von aufklärerischen Filmen aus der Türkei fortzuführen, die den dortigen Machthabern sauer aufstoßen. Die politische Parabel nach einer Erzählung von Yachar Kemal wäre wohl auch kaum als rein türkische Produktion zu verwirklichen gewesen. Wim Wenders beweist als Produzent des Films, daß er nicht nur mit flammenden Reden gegen die Vorherschaft der Hollywoodästhetik im Kino angeht. Kameramann Jürgen Jürges fotorafierte dem epischen Duktus des Erzählstils folgend in ruhigen, ungekünstelten Aufnahmen die karge Schönheit der Winterlandschaft und die ungeschönten Dorfbauern; er bekam für diese Arbeit den deutschen Kamerapreis des letzten Jahres. Auch ein Bremer gehörte zum Stab der Mitarbeiter: Peter Schulze von der Pop -Redaktion von Radio Bremen war Produktionsleiter, außerdem spielt er die stumme Rolle des „Umnachteten“ Ahmed, und daher gibt es für Bremer eine von diesen höchst merkwürdigen Überlappungen, die auftreten wenn Realität und Film aufeinandertreffen. Zumindest die Jazz-und Popfans kennen Schulze von den vielen Ansagen her, die er so gerne bei den Radio Bremen-Konzerten macht, und hier sieht man ihn als Dorfnarren in einem märchenhaften türkische Dorf.
Wilfried Hippen
Schauburg 19.00 und 23.00 Uhr
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