: Aus der Traum, Frau Professorin
■ Welche Wege für die feministische Wissenschaft? / Annegret Stopczyk plädiert für den bewußten Abschied von der Universität / Dort herrscht Kleingeisterei und Phantasielosigkeit, freier Denken läßt es sich im Außerhalb / Strategiedebatte über Frauen und Wissenschaft: letzter Teil
Annegret Stopczyk
Es gibt einen Satz von Lou Salome: „Willst du das Leben, so nimm es dir ganz!“
Dieser Satz, doppeldeutig und verwegen, klingt mir immer wieder nach. Wieviele Leute nehmen sich das Leben? Und hätte nicht auch Sokrates diesen Satz sagen können, nur in der Variation: Willst du das eigentliche Leben, dann sterbe!
Aber ich verwende diesen Satz natürlich anders. Mehr in der Art: Willst du etwas, so tu es ganz oder gar nicht!
So war es, als ich beschloß, Philosophin zu werden und dafür auch Philosophie und anderes zu studieren. Es war mein Lebenstraum. Ich wollte ein großes Werk schreiben, so wie Marx, wie Goethe, wie Platon, wie Freud und wie Kant. Ich sah damals in meinem spätpubertären Größenwahn überhaupt nicht, daß Marx, Goethe, Platon, Freud und Kant nur Männer waren.
Sie waren für mich einfach Genies, Leute, die die Welt mit neuen Augen sahen. Es war einfach dieser Blick auf und durch unsere ganze Welt und unsere ganze Menschheit, der mich anzog und mit dem ich mich gleichsetzte. Ich spürte keinen Unterschied von denen zu mir und umgekehrt. Ich gehörte dazu. Ich war, wie Simone de Beauvoir das junge Mädchen beschreibt: „Subjekt der Autonomie und Transzendenz, als ein Absolutes.“ Das heißt: Ich fand mich absolut toll, zu allem fähig und superschlau. Ich fühlte mich etwas fremd in der Welt, ja und deshalb wollte ich Philosophin werden, um die ganze Welt zu verstehen und mich besser einzugewöhnen.
Es reichte mir nicht, nur ein Spezialwissen zu haben. Ich wollte das ganze Leben in einem Blick spüren, alles haben, alles wissen und alles dafür tun. „Willst du das Leben, so nimm es dir ganz!„ (Final wird das wohl aufs Bare hinauslaufen, d.S.)
Und als ich anfing zu studieren, mußte ich lernen, viel kleinere Brötchen zu backen. Denn wer Philosophie studiert, will kein großes Werk schreiben und die Welt neu erkennen, sondern: Wer Philosophie studiert, hat im Höchstfall den Traum, Philosophieprofessorin zu werden. Und wenn da eine Philosophiestudentin einen Lebenstraum hatte, dann den, bei der 'Zeit‘ im Kulturteil zu schreiben. Ich war deplaziert und schien irgendwie zu hoch gepokert zu haben. Universität: Das Reich
der Kleinlichkeit
Alle redeten sie von „Wissenschaft“, und es gab scheinbar nichts Erstrebenswerteres, als richtig zitieren zu können, ohne Rechtschreibfehler ein Referat abzuliefern, oder eine mickrige Textseite aus einem Kant- oder Hegelwerk zu interpretieren, zugekleistert mit möglichst vielen Nachweisen viel gelesener Sekundärliteratur. Einen eigenen Gedanken so einfach frei zu äußern sah ziemlich selbstgestrickt aus und schien nicht nur „unwissenschaftlich“ zu sein, sondern auch noch unphilosophisch und „peinlich“. Selberdenken ist etwas absolut Unakademisches.
Die anderen Frauen aus meiner Generation, die auch ein bißchen größenwahnsinnig waren, studierten lieber Soziologie, Psychologie oder Politologie, weil sie meinten, von da aus die Welt besser verändern zu können. Philosophie war ihnen ziemlich „irrelevant“ und nur „Spinnerei“ (das ist bis heute so geblieben bei Akademikerinnen zwischen 30 und 45 Jahren). Die letzten großen philosophischen Berühmtheiten, wie Adorno und Horkheimer, waren bereits gestorben.
Das geniale Reich der Freiheit, in dem ich mich so gleich unter Gleichen wähnte, zerbröckelte im Absitzen stinklangweiliger Interpretationsseminare, und ich fragte mich, was das alles soll. „Willst du das Leben, so nimm es dir ganz!“ Immer unverdrängbarer drängten sich mir Sätze auf, von wegen, daß die Frauen keine Philosophinnen sein könnten. Unübersehbar las ich nun bei Goethe das zerstörte Gretchen, in den Marx-Briefen an Engels Witze über die Emanzen, bei Platon, daß feige Männer im nächsten Leben zu Frauen zwangsinkarniert würden, bei Kant, daß Frauen zwar Verstand haben können, aber keine Vernunft und bei Freud, daß ich neidisch zu sein hätte auf den Penis der Männer.
Das war ein großer Schock, ein brachialer Vertrauensbruch. Ich konnte es nicht fassen: So unterschiedlich sie sonst waren in ihren philosophischen Ansätzen und theoretischen Spekulationen, hier herrschte Einigkeit. Ich dokumentierte das Unfaßbare im Buch Was Philosophen über Frauen denken (1980). Das war also alles nicht für mich gemeint? Ich gehörte nicht dazu? Ich entschloß mich zu meinen, daß sie nicht mehr zu mir gehören sollten. „Willst du das Leben, so nimm es dir ganz!“
Seitdem studierte ich autonom und nur noch nebenher an der Uni. Die Ergebnisse dieser meiner Studien verarbeite ich nun seit Tschernobyl schreibend. Es gibt keine „unschuldige“
Wissenschaft
Ich bin seit Tschernobyl nach zehn Jahren Universität ganz bewußt aus der Uni ausgestiegen, weil es mir unerträglich war, weiterhin als Lehrbeauftragte, Doktorandin oder Studentin der Verbreitung jener Denkformen zur Seite zu stehen, die dazu geführt haben, daß wir heute all die wissenschaftlich-technischen Mittel haben, unsere Gattung einfach auszulöschen und das Leben auf der Erde unmöglich zu machen. Auch die vielumschwärmten „feministischen Wissenschaftlerinnen“ rüttelten nicht fundamental an jener „Wissenschaftlichkeit“, der sie zwar kritisch, aber dennoch hinterherjagten. Auch für die meisten von ihnen gab es nichts Besseres als irgendeine Professur.
Die Männer haben etwa 3000 Jahre in Europa gebraucht, bis sie ihre Formen des Denkens und der Wissenschaft vorherrschend machen konnten, so daß andere Formen kaum noch gewußt, geschweige denn ohne Ängste erlebt werden. Unermüdlich wird auch von Feministinnen „die Wissenschaft“ verteidigt. Dabei ist die Denkform, die dieser „Wissenschaft“ zugrunde liegt, ehemals von Männern für Männer erdacht worden. Universität, Forschung und Wissenschaft werden in eins gesetzt, das gesamte intellektuelle nichtliterarische Leben ist in den Universitäten monopolisiert, verstaatlicht oder verbeamtet. Nichts geht mehr ohne professorale Gutachten.
Die vielzitierten Vorbildfrauen, die mir oft vorgesetzt wurden, Evelyn Fox Keller und Carolyn Merchant, sie gehen mir in ihrer Wissenschaftskritik nicht weit genug.
Interessant, wie Fox Keller an der Genetikerin Barbara McClintock herausarbeitet, was „weibliches Denken“ als Identifikation mit der Natur statt Beherrschung sein könnte, aber: keine Frage stellt sie nach dem, was ihre Heldin erforscht, ja zum Schluß gibt es noch einen Jubelakkord auf „die Wissenschaft“ als „kreative Möglichkeit“ für jede/n. Auch 1985 noch kein Gedanke an die Gefahren und maskulinen Motive der Gentechnologie, nur Bewunderung für eine Frau, die in den Anfängen nobelpreisgekrönt mitgemacht hat.
Ähnliches bei Carolyn Merchant. Die „organische“ Alchimie wird als alternative Wissenschaft der gegenwärtigen „mechanischen“ Naturwissenschaft entgegengestellt. Aber wer erfand denn die Experimentierlaboratorien? Wer zerschmolz, zertrümmerte, vermischte und preßte die Naturstoffe in dieses oder jenes Laborgefäß? Wer isolierte die Naturstoffe voneinander? Das waren zuerst die Alchimisten und zu recht nennt sich der Atomkernspalter Otto Hahn einen „modernen Alchimisten“. und es kommt noch schlimmer: Auch hier hat eine Frau im Anfang mitgemischt und wesentliche Impulse gegeben. Es war die sagenumwobene Philosophin und Alchimistin Maria Kleophas, die zur Zeit des Demokrit sogar die ersten „modernen Destilliergefäße“ erfand, und viele Geheimnisse der Natur den Männer bereitwillig verriet. Aber noch schlimmer kommt es: Es sind nämlich immer wieder Frauen, die den Männern zu ihren grundlegenden Natureingriffen verhelfen. Nicht nur Maria Kleophas half den Alchimisten, den Weg in die Naturzerstörung zu gehen, nicht nur Barbara McClintock half den Gentechnologen, unsere Gene zu manipulieren. Ohne Lise Meitner hätte Otto Hahn nicht verstehen können, was er und sein Kollege schon länger taten, nämlich Atomkerne zertrümmern. Sie lieferte jenes Interpretationsmodell, nach dem die heutigen Atombomben und Atomkraftwerke funktioneren. Auch die Madames Curie gaben ohne Überlegung ihre Naturentdeckungen den Männern preis, stolz darauf, in die Gemeinschaft der hochkarätigen Wissenschaftler aufgenommen zu werden.
Ich muß ehrlich sagen, daß ich Angst vor solchen Frauen habe, weil Cato Recht hat: Die Frauen machen vieles perfekter als die Männer, wenn man sie dranläßt. Das müssen wir verantwortlich begreifen! Etliche Frauen sind tief mit ihren Begabungen ins Patriarchat verstrickt, wir können uns nicht einfach unschuldig hinstellen und eine „weibliche Wissenschaft“ fordern. Wohin dann?
„Willst du Leben, nimm es dir ganz!“
Als ich aus der Universität ausstieg, um mein Leben als „freischaffende Philosophin“ zu beginnen, schlug mir die intellektuelle Ortslosigkeit millionenfach ins Gesicht. Wo gibt es die Cafes, in denen Simone de Beauvoir und Sartre ihre Werke diskutierten und teilweise schrieben? Wo gibt es die Vortragsagenturen, zu denen ein Marc Twain, eine Emma Goldmann hingehen konnten, um Aufträge anzunehmen? Wo gibt es einen vielumschwärmten Salon, den eine superkluge Frau führt, die Lust dazu hat, Begabungen zu entdecken und gegenseitig bekannt zu machen? Wo gibt es eine Madame Expinay, die einem Rousseau wie mir ein Häuschen im Grünen schenkt, damit ich in Ruhe arbeiten kann? (Gleich!, d.S.) Wo gibt es einen Engels, der die Familie des Marx mit den notwendigsten finanziellen Mitteln versorgt, damit der große Denker in Ruhe in der Britischen Bibliothek sitzen kann? (Ecco!, d.S.) Die neblige Vorstellung des armen Dichters unterm Dach oder der halbwahnsinigen Bohemienne von einem reichen Männerarm in den nächsten wechselnd - das sind romantische Geschichten für gutsituierte bildungsbeflissene Leute. Armut und Elend qualifiziert eben nicht zu lebensbejahendem Erkennen!
„Willst du das Leben, so nimm es dir ganz!“ Also weiter. Was fehlt in dieser Gesellschaft frei von der Knute der Professorengutachten? Auch Simone de Beauvoir und Sartre waren nicht promoviert. Na und?
Was ist ein Mädchentraum? Einmal in meinem Leben ausführlich und ungekürzt schreiben; wie ich will, was ich will und wann und wo ich will. „Mein Werk„; ein dicker komponierter Zusammenhang, keine lose Reihe von Vorträgen und Aufsätzen. Sprachlich Raum einnehmen - als Frau zweibändig, meinetwegen auch dreibändig - Frauen war das ewig verwehrt.
Wieviele hatten mich gewarnt vor diesem „ungesicherten Leben“, so, als wäre eine Universitätskarriere gesichert! Aber meine geburtenstarke Generation ist sowieso schon überflüssig, vergessen, verloren und aufgegeben. Zu alt für Nachwuchsförderung, zu jung für die Rente, haufenweise arbeitslos, zu Umschulungsprogrammen für die Computerwirtschaft von Arbeitsämtern genötigt und in selbstquälerischen Zweifeln verstrickt und klammheimlichen Hoffnungen auf Grün-Rot. „Gesichert“ bin ich nirgendwo. Wie machen es sie freischaffenden KünstlerInnen? Die Malerin Sarah Haffner lachte laut wegen des „Sicherheitsarguments“. Auch sie mit Kind, lebend von ihrer Malerei, und ihre Miete hat sie immer bezahlt, seit 30 Jahren. Auch die Schriftstellerin Jutta Heinrich lebt von ihrem Schreiben und fährt sogar ein kleines Auto. Anders dagegen die Schriftstellerin Karin Struck. Hin- und hergeworfen zwischen einmaligen Honoraren. Überlebenskünste
Aber ich hatte bis jetzt unglaubliches Glück. Nach Tschernobyl hielt ich einen Vortrag (eine Mentalitätsstudie zu Otto Hahn). Christel Neusüß saß in der ersten Reihe, lud mich hinterher sofort zum Tee ein, ich berichtete ihr meinen Mädchentraum, sie sagte: „Arbeite, ich gebe dir von meinem Professorengehalt ab!“ Nach zwei Jahren starb sie, und ihre Erbschaft ist nun auch verbraucht. Sie investierte in mich, eine einzelne Person, eine Frau. Nicht in ein „Projekt“, nicht in ein „Unternehmen“, nicht in eine „Institut“ oder eine „Gruppe“ und eine „hehre Sache“, sondern ich meine individuelle Begabung. Sie war eine Mäzenin im besten Sinne.
Wenn ich mir noch vorgenommen hätte, an meinem Buch zu arbeiten, wofür ich Ruhe brauche und keine Jobs, dann könnte ich mit Philosophie genug Geld verdienen, es ist eben doch keine „brotlose Kunst“, wie die meisten glauben.
Seit sieben Jahren habe ich nebenher gutes Geld verdient mit dem Schreiben von Rundfunkmanuskripten für eine Philosophiereihe. Inzwischen planen auch andere Sendeanstalten, Philosophie- und Theoriereihen aufzubauen und zwar in unorthodoxen freien Fomen. Es besteht ein großer Bedarf an „autonomer subjektiver Theorie“, auch bei Verlagen. Frauenbildungsstätten brauchen Referentinnen, Heimvolkshochschulen nehmen gern Frauenthemen auf und bezahlen für Wochenkurse gut. Viele kleine private Tagungsstätten sind mietbar und werden von Psychologen und Esoterikern schon längst für ihre „Workshops“ genutzt, nur die „Geisteswissenschaftlerinnen“ starren noch auf die Uni (grundlegende neue Konzepte kommen schon immer zumeist aus außeruniversitären Gefilden, sie werden nur später an den Unis gelehrt). Und es ist sogar möglich, sich als freischaffende Forscherin oder Philosophin bei der Künstlersozialkasse rentenversichern zu lassen. Es braucht nur Mut, überqualifiziert sind wir schon. „Willst du Leben, so nimm es dir ganz!“
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