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Marxismus-Beninismus am Ende

Im westafrikanischen Kleinstaat Benin sind Finanzkrise, Korruption und Menschenrechtsverletzungen zu einem explosiven Cocktail geworden / Fast der gesamte Staatshaushalt wurde ins Ausland geschafft / Die Gehälter des Vorjahres lassen auf sich warten / Lehrer und Studenten bleiben zu Hause, die Beamten sind im Bummelstreik  ■  Von Knut Pedersen

In welchem marxistischen Land hat die „Nomenklatura“ knapp ein Jahresbudget auf sichere Auslandskonten transferiert und das Ausmaß ihrer Korruption offiziell bestätigt? In der „Volksrepublik Benin“, deren ehemaliger Finanzminister Barnabe Bidouzo die „Auslandsguthaben hoher Staatsbeamten“ im benachbarten Togo auf rund 250 Millionen DM schätzte. Der Staatshaushalt, seit 1982 im chronischen Defizit, beläuft sich auf knapp 300 Millionen DM. Die naive Gesprächsfreude des Finanzministers wurde im vergangenen August mit seiner Entlassung aus der Regierung belohnt. Dummer August...

„Der Marxismus-Beninismus hat abgewirtschaftet“, scherzte ein hoher Staatsbeamter mit bitterer Ironie. Nach 16 Jahren proklamierter „marxistisch-leninistischer Revolution“ plünderten Jugendliche in der Verwaltungshauptstadt Porto Novo Ämter und Geschäfte, um ihre seit fünf Monaten ausstehenden Stipendien einzuklagen. Ihren Eltern geht es nicht besser. Rund 50.000 Staatsdiener, Beamte und Soldaten warteten bis Februar auf ihren Sold vom Vorjahr. Ende Januar haben sich die Wut und Enttäuschung gewaltsam Luft gemacht: Die allgegenwärtigen Staatsporträts des Präsidenten Mathieu Kerekou wurden von den Wänden gerissen und öffentlich verbrannt. Während überall im Lande die streikenden Beamten, Schüler und Lehrer zu Hause blieben, wurden in Porto Novo zwei Polizisten von der entfesselten Menge zu Tode geprügelt. Lediglich die Soldaten haben inzwischen ihren Sold bekommen.

Revolutionäre Hackordnung: Zuerst die Soldaten

Inzwischen herrscht wieder Ruhe im Land, auch wenn die Universität noch immer bestreikt wird und sich die Beamten in ihren Büros auf „passive Präsenz“ beschränken. Der - so sein offizieller Titel - „große Kampfgenosse“ Mathieu Kerekou hat der Armee befohlen, „auf jedwede öffentliche Menschenansammlung ohne Vorwarnung das Feuer zu eröffnen“. Gleichzeitig wurden 40 Millionen DM zusammengerafft, um zumindest einen Teil der ausstehenden Gehälter zu bezahlen. „Zuerst die Soldaten!“ schrien nervöse Bankbeamte. Hunderte von Staatsdienern belagern ihre Schalter, aber die Staatssicherheit spielt Schabernack mit dem Gleichheitsprinzip. Nach zwei gescheiterten Militärputschen im vergangenen Jahr sind die Prioritäten der Hackordnung ungeschminkt: Zuerst die Offiziere, dann das Fußvolk der „revolutionären Volksarmee“, anschließend die Ministerialbeamten bis hinunter zum Bürodiener und, zuallerletzt, die Lehrer...

Schüler, Studenten und Lehrer streiken denn auch weiter. „Das stört die Regierung kaum“, fürchtet ein Jurastudent. „Wir nehmen nur unsere kommende Arbeitslosigkeit vorweg.“ Bereits seit 1986 wurde für die öffentliche Hand ein absoluter Einstellungsstop verfügt. Die Staatskassen sind leer, und die Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds schleppen sich seit 1985 über die Jahre. Ein Beamter im Finanzministerium, der es wissen muß: „Wir brauchen den Beistandskredit von rund 350 Millionen Dollar, bevor uns die Leute die Bude einrennen“.

Aus für den Schmuggel

nach Nigeria

Wirtschaftlich ist das Problem umso dringender geworden, als das nachbarliche Nigeria - mit mehr als 100 Millionen Einwohnern die unbestrittene Regionalmacht Westafrikas seit Ende vergangenen Jahres Schmugglern mit lebenslänglicher Haft droht. Um seine „grüne Revolution“ in Gang zu bringen, hat die nigerianische Regierung seit zwei Jahren die Einfuhr von Reis und Weizenmehl verboten. Die Beniner hatten seither aus der Versorgungsnot der nigerianischen Nachbarn eine kommerzielle Tugend gemacht und ihre Reisausfuhr seit 1986 verfünffacht - der Rest war ein Transportproblem für den sogenannten „Transithandel“. Aber lebenslange Haft ist offenbar ein abschreckendes Berufsrisiko für die „Grenzgänger“: Rund 100.000 Tonnen Reis liegen seit drei Wochen unberührt in den Lagerhallen im Hafen von Cotonou.

Politisch bedeuten die Unruhen und andauernden Streikbewegungen weit mehr als das Ende einer seit Jahren andauernden Schwarzmarktidylle, die sich nie an marxistischen Dogmen gestört hat. Die Reinheit proklamierter Ideale wurde in den vergangenen Wochen von niemandem eingeklagt, offensichtlich weil nie jemand an die „Staatsideologie“ geglaubt hat. Dagegen war, aus verständlichen Gründen, viel von Demokratie und Menschenrechten die Rede: Der westafrikanische Kleinstaat Benin „zählt mehr politische Häftlinge als irgend ein anderes Land in Westafrika“, hatte bereits im vergangenen Sommer „amnesty international“ gewarnt. Zwei- bis dreihundert politische Gefangene sitzen - oft seit Jahren ein und werden nicht selten gefoltert. Amnesty zufolge ist physische Folter „seit 1985 im Benin zur geläufigen Praktik geworden“.

Offenbar greift das bedrängte Regime in Cotonou erneut zu repressiven Mitteln. Im vergangenen Jahr wurden zeitweilig rund 150 Soldaten in Militärlägern „verhört“, um die Verantwortlichen gescheiterter oder vermeintlicher Putschversuche zu identifizieren. Vor zwei Wochen griff die Armee bei einem Streik in der Zuckerfabrik von Save ein. Nach Angaben der Belegschaft wurden zehn Arbeiter von Soldaten erschossen. Und Anfang Februar wurden die „Rädelsführer“ der Unruhen in Porto Novo verhaftet. Der frühere Außenminister Tiamou Adji Bade, ein ehemaliger Präfekt, Jean-Pierre Agondanou und rund ein Dutzend Juristen, Lehrer und Beamte. Wie immer, wenn im Benin Menschen „für Ermittlungszwecke“ abgeführt werden, bleiben ihre Familien ohne Nachricht. Nicht selten für immer.

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