: Ende der großen Prozeßschnüffelei?
Richter im Frankfurter Startbahn-Prozeß verbietet erstmals Ausweiskontrollen von ProzeßbesucherInnen / Seit Jahren speichert das BKA Daten von BesucherInnen politischer Prozesse / Schnüffelpraxis ist eine eklatante Behinderung des Öffentlichkeitsgrundsatzes ■ Von Till Meyer
Berlin (taz) - Bereits am ersten Verhandlungstag um die tödlichen Schüsse auf zwei Polizeibeamte am 2.11.1987 an der Frankfurter Startbahn West kam es zwischen den Verteidigern der neun Angeklagten und dem Gericht zu einer heftigen Auseinandersetzung: Wie schon in dutzenden politischen Prozessen zuvor attackierten die Anwälte in Frankfurt die Einlaßkontrollen von ProzeßbesucherInnen durch die Polizei. Vom Vorsitzenden Richter des Staatsschutzsenats, Schieferstein, verlangten die Anwälte, daß bei den Einlaßkontrollen zum Gerichtssaal weder durch die Polizei noch durch den Verfassungsschutz personenbezogene BesucherInnendaten erhoben und abgespeichert werden. Die Rechtsanwälte hatten mit ihrer Forderung erneut auf eine seit zwei Jahrzehnten illegale Praxis der Sicherheitsbehörden der Republik hingewiesen. Erstmals setzten sich die Rechtsanwälte gegen diese Praxis durch. Der Vorsitzende Richter entschied am zweiten Prozeßtag, keine Ausweiskontrollen der ProzeßbesucherInnen mehr durchzuführen. Diese Entscheidung hat nicht automatisch eine präjudizierende Wirkung auf ähnliche Gerichtsverhandlungen: Vorsitzender Richter Arend im Düsseldorfer Prozeß gegen Ingrid Strobl hat den Antrag abgelehnt, die Ausweiskontrollen in Anlehnung an die Schieferstein -Entscheidung zu beenden.
Wann immer die Bundesanwaltschaft (BAW) in Sachen Terrorismus eine Anklage erhebt, sei es wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, sei es gegen das sogenannte „Sympathisantentum“, fügt sie ihrer zumeist dürftigen Indizienkette immer noch einen belastenden Aspekt hinzu: Schließlich sei der/die Angeklagte schon vor Jahren als BesucherIn in einschlägigen Prozessen aufgetaucht. In den Besitz solcher Erkenntnisse gelangt die BAW durch die Zuarbeit der Polizei. Von Stammheim bis Berlin, von München bis Hamburg nutzt der Staatsschutz die Eingangskontrollen, um personenbezogene Daten von ProzeßbesucherInnen zu erheben und abzuspeichern. Im Bundeskriminalamt (BKA) gibt es eigens eine Spezialdatei „Prozeßbesucher“, und auch der Verfassungsschutz (VS) läßt BesucherInnen politischer Prozesse in seinem Suchsystem „Nadis“ abspeichern. Mit dieser Schnüffelpraxis konnten die Sicherheitsbehörden im Laufe von zwanzig Jahren eine beachtliche Anzahl „potentieller Sympathisanten“ aktenkundig machen.
Dabei birgt die Datenspeicherung durch Polizei und VS von BürgerInnen, die eine öffentliche Gerichtsverhandlung besuchen, einige Brisanz: Die RechtsanwältInnen in solchen Prozessen sehen das in der Strafprozeßordnung garantierte „Prinzip der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung“ verletzt. Wer besucht schon einen solchen Prozeß, so das Argument der AnwältInnen, wenn er damit automatisch in der Rubrik „potentieller Staatsfeind“ bei den Geheimdiensten abgespeichert wird. Die RechtsanwältInnen sehen in dieser Praxis einen Revisionsgrund. Ein Punkt, warum die Richter eine Datenerhebung unter ihrer Ägide immer heftigst bestritten haben. Allerdings kann die Polizei die BesucherInnendaten nur auf dem Terrain der Justiz erheben, nämlich unmittelbar vor Betreten des Gerichtssaales. Hausrecht hat hier nur der Gerichtspräsident. Trotz höchstrichterlichem Dauerdementi hat es über zwei Jahrzehnte eine, wenn auch illegale, so doch gedeihliche Zusammenarbeit zwischen Justiz und Polizei gegeben. Als dann im Zuge des Untersuchungsausschusses über die Skandale des Berliner Verfassungsschutzes der Fraktionsvorsitzende der Alternativen Liste, Wieland, in Geheimakten des Landesamtes in Sachen ProzeßbesucherInnen fündig wurde, wandte er sich mit einem offenen Brief an den Moabiter Gerichtspräsidenten: „Es besteht kein Zweifel darüber, daß zumindest zeitweilig Fotokopien von Ausweispapieren von Prozeßbesuchern beim Landesamt für Verfassungsschutz eingegangen sind.“ Im Januar 1989 bestritt daraufhin der Berliner Justizpressesprecher Christoffel, daß es bei der BesucherInnenkontrolle eine Zusammenarbeit zwischen Justizbehörden und der Polizei gegeben habe. Nur die Justiz sei in den Besitz von fotokopierten Ausweisen der ProzeßbesucherInnen gelangt. Aber die habe man am Ende jedes Verhandlungstages vernichtet. Ob die Polizei sich aber noch eine zweite Kopie gezogen habe, könne er nicht sagen. Sie hat: Aus dem geheimen Aktenmaterial des Berliner VS geht hervor, daß sich Polizei und VS zumindest bis Mitte der siebziger Jahre eine zweite Kopie angefertigt haben. Im sogenannten Schmücker -Prozeß 1978 wollten die Rechtsanwälte es genau wissen. Ihre Behauptung: Alle ProzeßbesucherInnen werden systematisch vom Staatsschutz erfaßt. Zum Beweis des Gegenteils holte seinerzeit das Gericht eine Stellungnahme der Polizei ein. Da versicherte der Berliner Polizeipräsident, daß „anläßlich der Überprüfung von Personaldokumenten keinerlei Erfassung und Speicherung von Daten im polizeilichen EDV-System erfolgt“. Doch das war nur die halbe Wahrheit. Wann immer die Justizbehörden im Kriminalgericht Moabit den Ausweis eines Besuchers für den Vorsitzenden Richter kopiert hatten, verschwanden die Papiere des Sistierten nochmal kurz in einem weiteren Raum. Dort saß, zwar ohne EDV-Gerät und ohne Kopierer, sondern mit traditionellen Karteikarten, ein Beamter der Abteilung Staatsschutz und schrieb die Daten fein säuberlich ab. Diese Kärtchen landeten im Polizeipäsidium und gingen von dort an das BKA und den VS. Zumindest im Frankfurter Startbahnprozeß hat diese Praxis nach der überraschenden Entscheidung des Vorsitzenden Richters nun erstmals ein Ende. Kontrolliert werden ProzeßbesucherInnen nur noch auf Waffen - seinen Ausweis muß niemand mehr vorzeigen.
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