: Jazz - bunter Flickenteppich
■ „Tim Berne's Fractured Fairy Tales“ spielten abend im Dix Rockige Rhythmen und der Wohlklang von Glockengeläut
„Fractured Fairy Tales“ - gebrochene Märchen ist ein guter Name für Tim Bernes Gruppe, denn wie aus vielen Stilen, Sounds und Stimmungen zusammengesetzte Geschichten hörten sich die Stücke des Quintetts an. Wie ein Märchenerzähler schon sehr gut sein dam die ndenicht protestieren, wenn sie Rotkäppchen plötzlich im Walfisch wiederfinden, so ist es der Gruppe erstaunlich gut gelungen, diesen Flickenteppich genau passend zusammenzufügen: bei den Übergängen merkt man besonders, wie ausgefeilt die Kompositionen sind und wie gut die Gruppe harmoniert.
Berne sagt, daß er sich die Anregungen für seine Songs oft aus dem Kino oder von Tagträumen nimmt, so klingen sie auch: wie etwas, das man kennt und zugleich ungewöhnlich, neu. Da gibt es Passagen, die an die konventionellen Jazzstile erinnern: Bebopphrasen und getragene Balladen, gleich daneben aber Soundfelder im Stil eines Holger Czukay, rockige Rhythmen oder den Wohlklang von Glockengeläut und Bläsersätzen, die wie auf dem Kirchturm gespielt klingen.
Obwohl die Musik fast gänzlich durchstrukturiert ist, bleibt den Musikern genügend Platz für
Improvisationen, mit freien Passagen, die aber immer von und in der Komposition aufgehoben sind. So beginnen die Mitspieler ganz unerwartet ins freie Solo hinein eine Gegenmelodie, wiederholen und verstärken sie, führen so in den nächsten Teil des Stückes. Berne wirkt auf seinem Altosaxophon dabei gar nicht wie der Chef der Truppe, keiner spielt sich in den Vordergrund.
Die Vielfalt der Sounds, die die Band auf der Bühne erklingen läßt, macht ihre Musik so aufregend und frisch. Herb Robertson verändert die Klangfarben seiner Trompete durch verschiedene Dämpfer; Bassist Mark Dresser kann auf seinem präparierten Bass auch mit beiden Händen am oberen Teil des Griffbretts spielen und erzeugt so hohe, seltsame Töne. Schlagzeuger Joey Baron spielt mit Samplings und elektronischen Verfremdungen der Perkussion auch ein wenig die Rolle des Keyboarders in der Band. Hank Roberts schließlich, der schon so abgehoben Cello spielt, wie sonst keiner, singt durch ein am Kopf befestigtes Mikrophon, und seine mit digitalen Effektenverfremdete Stimme ist wie der Ruf des Zauberers in dieser exotischen Märchenstunde.
Willy Taub
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen