: Friedhofsmusik für Bremen
■ Das „Dix'“, Bremens einziger Club für modernen Jazz, macht zu Wiedereröffnung im Mai mit altem Jatz als neuem Programm
Schon wieder ein Tag zum Trauern in dieser Stadt. Der Stadt größter und einziger Club für die improvisierte Musik dieser Zeiten, das „Dix'“ feierte gestern seine letzte Veranstaltung, um zunächst für eine längere Umbauphase die Pforte zu verschließen und anschließend im neuen Kleid und unter der Führung des betulichen Jazz Club Bremens die Interessenten ernstzunehmeder Musik mit Old Time Jazz zu vergreulen.
Der Abschiedsabend ist wie gezielt gebucht, die „James Blood Ulmer Blues Experience“, so orakelt der Vorabrezensent treffend, wird das Dix'am Donnerstag Abend zum letzten Mal in eine dunkelblaue Wolke (Yves Klein winkt monochrom) aus extrovertierter Melancholie gehüllt haben, die sich angenehm mit grauen Gedanken an den Abschied und unangenehm mit grauen Gedanken an die neue Ge
genwart mischt.
Eine schlimme Vorstellung, daß eine freie und Stadt dieser Größenordnung, nicht in der Lage sein sollte, ein einziges kleines Clübchen, das sich der Verbreitung des neuen Jazz widmete, zu ernähren. Zugegeben, und schon das ist deprimierend, sind es nicht gerade Menschenmassen, die sich im „Dix'“ drängten, wenn wieder eines der Konzertereignisse des Monats anstand.
Zugegeben, so sind die Gesetze des Marktes und den will ja heutzutage kaum noch eine abschaffen. Zugegeben, nach Subventionen zu schreien wäre auch keine Lösung; subventioniert wird selbst im bankrotten Bremen schon genug Langeweile produziert.
Old-Time-Jazz wird es dafür geben, dieses überflüssige Feierabendsvergnügen saturierter Enddreißiger, die zur besseren Verdauung ihres frisch gezapften Freilichtbiers und der fetttriefenden ranzigen Bratwürste sich die Schalmeienklänge der Bremen City Barrelhouse Stompers ins träge Gehör knallen. Old-Time-Jazz, wie der Name schon sagt old, noch older, seit mehr als sechzig Jahren tot, so mausetot, daß selbst auf dem Friedhof kein Platz mehr dafür ist. Sowas als einziger Jazzclub in dieser Stadt furchtbar, eine Vorstellung, die mir eine ungeahnte Blässe ins Gesicht treibt und reale Fluchtgedanken sät.
Immerhin gibt es noch Gruppen, die die musikalische Neugier auf ihr Banner geschrieben haben und in loser Reihenfolge Konzerte veranstalten, um diese Neugier zu befriedigen. So wird sich heute abend die gesamte Trauergemeinde versammeln, um dem Konzert des Kroß-Orchesters zu folgen, das die Veranstaltergruppe DACAPO zum Troste reicht.
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