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„Du mußt das doch gewußt haben“

Die beiden am 27.Januar vom niederländischen Parlament begnadigten Nazi-Kriegsverbrecher Fischer (87) und Aus der Fünten (79) hatten nach den Worten ihres Seelsorgers das volle Ausmaß ihrer Verbrechen erst während ihrer lebenslänglichen Haft erfaßt  ■  Von Henk Raijer

Berlin (taz) - Als Seelsorger Verheijen am 27.Januar um etwa 16.00 Uhr die Gefängniskuppel von Breda betritt und die beiden greisen Insassen auffordert, sich für die Abreise fertigzumachen, sehen die ihn nur ungläubig an. Eine Stunde zuvor erst hatte das niederländische Parlament der vier Tage währenden Unsicherheit und der emotional aufgeheizten Stimmung im Lande ein Ende gemacht: Mit 85 zu 55 Stimmen sprachen sich die Abgeordneten für die Begnadigung der beiden letzten, seit 43 Jahren einsitzenden deutschen Kriegsverbrecher aus. „Was soll aus meiner Arbeit hier werden, ich habe noch soviel zu tun“, bringt der 87jährige Franz Fischer nur mühsam heraus.

Ferdinand Aus der Fünten (79) hat die zweitägige Debatte live im Fernsehen verfolgt; auch er betrachtet offenbar die anstehende Freilassung als lästige Störung seines Tagesablaufs. Nachdem beide Männer ihre wenigen Habseligkeiten zusammengepackt haben, begleitet Pfarrer Verheijen seine beiden Schützlinge im Krankentransporter bis zur Grenze - sein letzter Einsatz als Vertrauensmann der „Zwei von Breda“.

In einem Gespräch mit dem Amsterdamer Wochenmagazin 'Haagse Post‘ beschreibt Pfarrer Verheijen, wie er sich über ein Vierteljahrhundert lang in seiner Eigenschaft als Gefängnisseelsorger zweimal pro Woche die Sorgen und Nöte des ehemaligen Chefs des „Judenreferats“ Den Haag (Fischer) sowie des ehemaligen Leiters der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ in Amsterdam (Aus der Fünten) angehört habe. Dieses Engagement wurde ihm namentlich vom überlebenden Teil der Verfolgten des Naziregimes nicht gerade dankend abgenommen. „Immer wieder mußte ich den Menschen erklären, daß diese Arbeit nicht bedeutete, daß ich ihnen ihre Verbrechen verzieh und ich ein Nachkriegshandlanger der Nazis sei. Meine Sorge galt immer an erster Stelle den Opfern - nur, darüber wird für gewöhnlich nicht viel geredet“, so Verheijen.

Der katholische Priester brachte seinen Klienten alles, was es zum Thema Zweiter Weltkrieg zu lesen gab, auch und gerade das, was über sie selbst geschrieben wurde. Später, als ihnen ein Fernsehgerät in die Zelle gestellt wurde und sie mit Bildern aus Konzentrationslagern konfrontiert wurden, wurde der Druck der beiden, sich mitzuteilen, immer größer. „Ich spürte die wahnsinnige Spannung, die Angst der Männer, diese unaussprechlichen Verbrechen in Sprache zu fassen. Sie haben mir viel, sehr viel erzählt und dies mit immer mehr Emotionen, Schuldgefühlen und Reue.“ Nie hätten sie versucht, die Berechtigung der Strafe, die sie verbüßten, in Zweifel zu ziehen, die Wahrheit um ihre Beteiligung zu verdrängen. Im Gegenteil: Je mehr ihnen das Ausmaß ihrer Beteiligung an der „Endlösung“ bewußt wurde, um so existentieller wurde nach den Worten Verheijens ihr Kampf mit dem Schuldgefühl und ihrer Ohnmacht, diese Verbrechen jemals wiedergutmachen zu können. Auf die Frage, ob seiner Einschätzung nach Fischer und Aus der Fünten über den Bestimmungsort ihrer Opfer Bescheid gewußt hätten, antwortete Verheijen, die beiden seien seinem Eindruck zufolge keine erklärten Antisemiten gewesen. „Franz, du mußt das doch gewußt haben“, habe er den ehemaligen Chef des „Judenreferats“ Fischer oftmals gefragt. Der hingegen beteuerte, er habe sich nie viel Gedanken gemacht, die Arbeit sei „ziemlich langweilig“ gewesen. Und Himmler, so berichtete er weiter, habe die Gerüchte über Massenvernichtungslager immer als „feindliche Greuelpropaganda“ entkräftet; nach dem Krieg würden alle Juden, die in den Munitionsfabriken in Deutschland arbeiteten, zurückkehren. Sie sollten nur weg, weil sie eine „feindliche Linie“ bildeten. Und, so Fischer, schließlich mußte doch ein Krieg gewonnen werden.

Mehrmals hatten sich Fischer und Aus der Fünten in Briefen an das niederländische Volk gewandt, in denen sie ihre Reue bekannten und um Vergebung baten. Die Nation zeigte sich jedoch unversöhnlich. In den letzten Jahren ihrer Haft verbrachten die „Zwei von Breda“ ihre Tage damit, viel und gründlich über den Weltkrieg zu lesen und zu ergründen, wie das niederländische Volk über sie dachte.

Lediglich als Aus der Fünten von einem Mitgefangenen, dessen Vater im Konzentrationslager umgekommen war, in der gemeinsamen Dusche aufgelauert und zusam mengeschlagen worden war, horchte die Nation noch mal auf.

Ansonsten war es still geworden - bis zu den unerwartet heftigen Reaktionen in den Januartagen. „Jetzt, wo sie weg sind, müssen wir alle, nicht nur der Staat, uns verstärkt um die Opfer kümmern“, so Verheijen, „denn sie haben oft keine Ange- hörigen mehr, die verstehen, was sie Nacht für Nacht durch machen.“

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