piwik no script img

Parlamentsfraktion läßt sich vernetzen

■ Einige Grüne im Bundestag beteiligen sich jetzt doch am Parlaments-ISDN-Netz „Parlakom“ / „Politische Grundsätze abgekauft“

Berlin (taz) - Drei Schritte vor, zwei zurück: Die grüne Fraktion beteiligt sich nun doch an einem Modellversuch, den sie vor zwei Jahren als „fragwürdiges Experimentierfeld für Pilotanlagen von Industrie und Bundespost“ abgelehnt hat. Es geht um „Parlakom“ - den Modellversuch, mit dem die Post im Bundestag ein digitalisiertes Kommunikationssystem erprobt: Die Post möchte diese ISDN-Netze längerfristig im ganzen Bundesgebiet verlegen.

Im Jahre 1986 begann der erste Teil des Parlakom -Modellversuchs mit 50 Abgeordneten. Die Grünen setzten damals ein politisches Signal und beteiligten sich nicht. Begründung: Die ISDN-Technologie sei weder im Bundestag noch gesamtgesellschaftlich beherrschbar und biete viele Möglichkeiten für zentrale Kontrolle. Außerdem handele es sich bei dem Parlakom-Projekt auch um eine „Akzeptanzstrategie von Post und Industrie, um längerfristig den Einstieg ins bundesweite ISDN-Netz besser bewerkstelligen zu können.

Weil der erste Versuch zu Ende ist, mußten sich die Grünen am Dienstag erneut mit „Parlakom“ befassen. Diesmal sollen sich 150 Abgeordnete an das neue Kommunikationssystem gewöhnen - darunter auch 12 Grüne. Auch diesmal enthält der Modellversuch das Bonbon, daß alle beteiligten Abgeordneten mit zwei hochmodernen Computern ausgestattet werden, für das Büro in Bonn und den Wahlkreis zu Hause. Das will sich der Bundestag bis zu 76.000 Mark pro Büro kosten lassen. Der politische Haken ist allerdings, daß sich die Abgeordneten in einer „OTC-Box“, einem elektronischen Briefkasten, venetzen lassen müssen. Genau diese Box ist jedoch ein wesentlicher Bestandteil des Parlakom-Projekts; der elektronische Briefkasten wird von Schwarz-Schilling als Alternative zur „Gelben Post“ propagiert. Die Grünen wollten sich diesmal obiges Bonbon nicht entgehen lassen und nahmen die politischen Haken einfach in Kauf. Das Argument: Viele grüne Büros hätten bei Fraktionsgeschäftsführer Michael Vesper schon einen Computer beantragt, doch der Haushalt der grünen Fraktion sei in diesem Jahr ziemlich eng, und die für den Computerkauf bereitgestellten 200.000 Mark reichen einfach nicht aus, um alle zufriedenzustellen. „Für 912.000 Mark hat sich die Fraktion ihre politischen Grundsätze abkaufen lassen“, schimpft der für den Datenschutz zuständige Mitarbeiter Roland Appel. Jetzt könnten die Grünen einen Teil ihrer Flugblätter gleich einstampfen.

Da die Entscheidung mit sehr knapper Mehrheit fiel, will die Abgeordnete Christa Nickels erreichen, daß der Fraktionsbeschluß noch einmal diskutiert wird. Ihre Linie: Die Grünen sind nur bereit, sich an einem „selbstbestimmten und sozialverträglichen Versuch“ mit neuen Techniken zu beteiligen. Also Ja zum Computer und Nein zur Vernetzung mittels digitaler Netze.

Ursel Sieber

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen