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Bremer Großstadt-Dschungel

■ Innensenator Sakuth stellt Kriminalstatistik 1988 vor / Raub und Mord fast wie in der Metropole / Fahrradklau versaut Statistik / Mehr Messer, weniger Pistolen im Einsatz

Das Leben in Bremen muß ungleich gefährlicher sein als man denkt. Mit Fug und Recht kann man vom Dschungel der Großstadt sprechen, von Tenever als der Bremer Bronx, von der Sielwall-Kreuzung als Bermuda-Dreieck: Bremen ist auf dem Weg zur Metropole. So ist es der poli

zeilichen Kriminalstatistik 1988 ohne wenn und aber zu entnehmen: Wir haben vergleichbare Großstädte wie Düsseldorf, Köln und selbst Stuttgart in der Kriminalitätsquote deutlich auf die Plätze verwiesen. Nur noch Frankfurt und Hamburg stehen in der Verbrechenshäufigkeit über Bremen.

Eine Statistik hat bekanntlich Fallgruben. Sie kann zwar Tatsachen vermitteln, kann sie aber ebensogut schönen, relativieren, verschweigen, in falschen Zusammenhang stellen oder sogar unter den Tisch kehren. Das weiß auch Innensenator Peter Sakuth, der jedweden Angriff dieser Art schon vorab gelassen hinnimmt: „Über jede Statistik kann man philosophieren.“

Weniger Spekulation und mehr harte Tatsachen zeigen sich darin, welche Delikte in Bremen geradezu explosionsartig boomen. Da sind es zuerst die KokainschnupferInnen, die scheinbar aus dem Boden wachsen wie die Krokusse im Bremer Sonnenschein. Um 85,7 Prozent hat die Zahl der registrierten Delikte zugenommen, was auf einen polizeilich nicht erfaßten Konsum ganzer Schneefelder schließen läßt.

Auch der allgemeine Rauschgift-Trend verdichtet die Ansicht,

daß das Leben härter, also metropolitaner wird: Der Konsum härterer Drogen steigt; die Wirkstoffkonzentrationen werden höher, die Preise fallen und die Umstiegsbereitschaft von Haschisch zu hartem Stoff nimmt eindeutig zu.

Metropolitan auch der polizeiliche Umgang mit Kleinkram. So hat die Kriminalpolizei den Fahrraddiebstahl, der die Statistik ziemlich versaut, an die Schutzpolizei abgegeben, weil es schlichtweg Wichtigeres zu tun gibt: Die Bekämpfung von Räubern, Vergewaltigern und Einbrechern.

Die Aufklärungsquote von 10.000 Fahrraddiebstählen ist durch die Delegierung an die Jungpolizisten natürlich nicht gerade gestiegen. Sie liegt bei satten vier Prozent. Weg ist also weg und selbst Kripochef Möller rät: „Wenn Ihr Rad geklaut ist, gehen Sie lieber gleich zur Fahrradversicherung.“

Die Tendenz zur Metropole wird auch unterstrichen durch den sprunghaften Anstieg des Handtaschendiebstahls, den wir von unseren sonnigen Urlaubsorten so gut kennen und der bekanntlich nur dort grassiert, wo ordentlich was los ist.

Ein schlagendes Argument ist

die Zunahme der Gewaltver brechen. 102 mal Mord und Totschlag in einem Jahr, davon 17 mal mit Todesfolge: Das sind zwanzig Versuche mehr als im Jahr davor und fast doppelt soviel Morde. Unerfreulich und metropolitan auch die solide Zunahme bei den Autoeinbrüchen

-„im wesentlichen Beschaffungskriminalität von Rauschgiftsüchtigen“, wie Peter Möller sagt.

Am meisten verwirrt der metropolitane Flair natürlich die Heranwachsenden, die, materiell gesehen, den Versuchungen der Großstadt nicht viel entgegenzusetzen haben, psychologisch gesehen vergnügungssüchtiger sind als die gesetzten Alten und statistisch gesehen, am ehesten dazu neigen, diesen kriminellen Versuchungen nachzugeben. Aufklärungsbedürftig ist ein anderes Phänomen: Der Schußwaffengebrauch ist eindeutig zurückgegangen. Einschlägige Kreise steigen aufs Messer um. Aber was hat uns diese Konjunktur zu sagen?

Vermeldet sei aber auch, daß die Kriminalität in Bremen nicht ins Uferlose schwappt. So ist die Zahl der Vergewaltigungen - zumindest statistisch - zurückgegangen. Das wäre zwar nicht metropolitan, aber einfach erfreulich.

FWG

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