: JUGENDLICHE ABFAHRER
■ Interview mit Werner Müller, Vorstandsmitglied des „Reisenetzes“, dem Zusammenschluß von 30 Jugendreiseveranstaltern zum Jugendreisetag auf der ITB
Im Wurmfortsatz des Westberliner Ausstellungsgeländes, dem Charme der fünfziger Jahre ausstrahlenden Palais am Funkturm, fand auf der Internationalen Tourismus-Börse (ITB) der 1.Deutsche Jugendreisetag statt. Veranstaltet wurde das ganztägige Spektakel (Musik und Spiele, Reden und Statements, Videos und Workshops) vom „Reisenetz“, der „Bundesarbeitsgemeinschaft unabhängiger Jugendreise- und Begegnungsorganisationen“. Schirmherr: Ulrich Klose, sozialdemokratischer 'Vorwärts'-Konkursverwalter und Schatzmeister der Partei. Das jugendliche Reisepublikum tröpfelte zögerlich über die Eingangsstufen zur manns/frauhohen Weltkugel aus Plaste und Elaste, die realitätsnah durch das Foyer hin- und hergetreten wurde.
taz: Ihr nennt Eure Veranstaltung vollmundig „1.Deutscher Jugendreisetag“. Wichtige Veranstalter von Jugendreisen fehlen, zum Beispiel die kirchlichen.
Werner Müller: Anspruch und Offenheit, alle Veranstalter einzubeziehen, waren von Anfang an bei uns vorhanden. Aber den kirchlichen Organisationen war die Vorbereitungszeit zu kurz, um sorgfältig planen zu können. Sie haben jedoch signalisiert, bei einem eventuell nächsten Mal mitzumachen. Ich vermute, daß bei ihnen auch eine gewisse abwartende Haltung eine Rolle gespielt hat, ob wir erfolgreich sind und uns auf der ITB etablieren können.
Im Editorial Eurer Zeitung 'Abfahrt‘, die zur ITB erstmalig erschienen ist, steht, daß ihr „vorsichtig mit den Trends zur Idealisierung und Ideologisierung des Themas Reisen umgehen“ wollt. Was heißt das?
Gut gefragt, Jungens! Das, was ihr zitiert habt, ist nicht meine Sprache, aber ich sauge mir mal was aus den Fingern: Über den „sanften“ Tourismus ist lang und breit geredet und geschrieben worden. Wir sehen in den Kinder- und Jugendreisen eine große Chance, ohne ideologischen Ballast und ohne Umschweife Reisekonzepte auszuprobieren, die sich an sanften Prinzipien orientieren, sanfte Inhalte umsetzen und zudem verkaufbar sind.
Mehr als die Hälfte Eurer Zeitung besteht aus Selbstdarstellungen der „Reisenetz„-Mitglieder, die auch auf dem Podium kräftig Eigenwerbung betrieben haben. Ist die Mischung von Public Relations und Informationstransfer Absicht?
Ja. Inhalte und Public Relations zu verbinden geschah nicht zufällig. Dies lag im Interesse der hier beteiligten Veranstalter.
Ein Mitglied Eurer Vereinigung brachte einen Ausstellerstand ins Gespräch, der nur wenige hundert Meter entfernt auf dem Messegelände zu finden ist. Er meinte Südafrika, wo tagtäglich Kinder und Jugendliche gefoltert und ermordet werden. Wollt Ihr Euch beim beabsichtigten 2. Jugendreisetag auf der nächsten ITB wieder politischer Abstinenz befleißigen?
Diese Frage trifft mich in einer Herzensangelegenheit. Das „Reisenetz“ hat zwei Fraktionen: Der einen ist das Geschäft vorrangig, der anderen geht es mehr um Inhalte. Kürzlich haben wir die Neuaufnahme eines Türkei-Reiseveranstalters verweigert. In einer politischen Debatte mußten wir feststellen, daß es diesem Veranstalter an ausreichendem Bewußtsein und hinreichender Kritikfähigkeit gegenüber den Zuständen in der Türkei mangelt. Politische Fragen brennen zunehmend vielen Leuten von uns unter den Nägeln. Deshalb wollen wir auch im November über das Selbstverständnis des „Reisenetzes“ diskutieren.
Dieser Jugendreisetag hat nur wenige interessierte Jugendliche angelockt. Hat es an der Öffentlichkeitsarbeit gehapert?
Mit unserer Öffentlichkeitsarbeit sind wir zufrieden. Dies zeigt das große Interesse der Medienvertreter. Doch es fehlte vor allem an einer durchgängigen Konzeption für die Raum- und Programmgestaltung. Drei Vorträge von Wissenschaftlern hintereinander zu Beginn der Veranstaltung, das ging über die Köpfe der Jugendlichen hinweg.
Ihr werdet von der Messeleitung AMK großzügig unterstützt. Für das Palais brauchtet ihr beispielsweise nichts zu bezahlen. Andere ITB-Aussteller mußten für ihre Standfläche viel Geld hinblättern. Damit habt ihr einen eindeutigen Konkurrenzvorteil.
Diese Kritik akzeptiere ich. Fürs nächste Jahr werden wir deshalb versuchen, die Trägerschaft am Jugendreisetag auf mehrere Schultern zu verteilen. Dadurch wollen wir die Veranstalterpräsentation zurückschrauben. Perspektivisch ist es unser Ziel, eine deutlich inhaltlich betonte Veranstaltung zum Jugendtourismus durchzuführen. Das Gespräch führten Reinhard Kuntzke
und Günter Ermlic
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