: Frankfurter Währungsdomina
■ Zehn Jahre Europäisches Währungssystem (EWS) unter Vorherrschaft der Deutschen Bundesbank / Export von Arbeitslosigkeit
Teil 7: Von Dietmar Bartz
Seit einigen Wochen läuft auf den samstäglichen taz -Wirtschaftsseiten die Serie „Kon-Fusion im Binnenmarkt“, die die Fusions- und Kooperationswelle in Europa im Vorgriff auf den Binnenmarkt analysiert. Mitentscheidend für gesamteuropäische Firmenstrategien sind die Währungsverhältnisse der EG-Staaten untereinander. Anläßlich seines zehnjährigen Geburtstages würdigen wir daher im heutigen Serienteil das Europäische Währungssystem.
Am 5.Dezember letzten Jahres wurden in Rom und Mailand zwei Stellungnahmen veröffentlicht, die zumindest auf den ersten Blick gegensätzlich zu sein schienen. In Rom warnte der italienische Schatzminister Giuliano Amato vor einer „Neuausgabe Großdeutschlands“, zu der das europäische Währungssystem führen könne - womit Amato allerdings nicht das Dritte, sondern das vereinte Zweite Reich unter preußischer Führung meinte. In Mailand hingegen veröffentlichten 78 italienische Manager und Industrielle, allen voran Fiat-Chef Giovanni Agnelli, ein Manifest, in dem die Wirtschaftsführer nachdrücklich die europäische Währungsunion forderten.
Europas Unternehmer sind mit großer Mehrheit für eine einheitliche Währung in der EG, sollte eine Umfrage vom letzten Sommer unter mehr als 1.000 Geschäftsleuten zutreffen. So geht Philips-Chef Cornelis van der Klugt davon aus, daß der niederländische Multi durch den Wegfall von Verwaltungskosten und Kurssicherungsgeschäften rund ein Prozent vom Umsatz einsparen könnte.
Ein deutliches Nord-Süd-Gefälle hat die Manager -„Vereinigung für die Europäische Währungsunion“ dabei ausgemacht: Während sich in Italien 98 Prozent der Befragten für die Vereinheitlichung ausgesprochen hatten, waren es in der BRD gerade 60 Prozent. Kein Wunder: Konzerne mit Sitz in Schwachwährungsländern haben ein größeres Interesse an stabilen Wechselkursen der einheimischen Währung als solche, die ohnehin in einem Land mit starker Währung sitzen. Profitieren möchten die italienischen Chefs von der Stabilität der D-Mark - eine Vorstellung, die zumindest einige italienische Politiker zuweilen mit Grausen erfüllt.
Für das Datum der beiden Stellungnahmen aus Italien gab es einen Grund. Im Juli 1978 wurde das Europäische Währungssystem (EWS) auf einem EG-Gipfel in Bremen beschlossen, am 5.Dezember stimmte der Europäische Rat zu, und am 13.März, am kommenden Montag vor zehn Jahren, riefen die beteiligten Zentralbanken das EWS endgültig ins Leben. Groß war die Skepsis nach den letzten Zuckungen der „Währungsschlange“, mit der zwischen 1972 und 1979 erst zehn und schließlich nur noch vier europäische Regierungen versucht hatten, die heftigen Wechselkursschwankungen gegenüber dem Dollar in den Griff zu bekommen. Diese Skepsis führte auch dazu, daß die britische Regierung dem EWS nicht beitrat und bis heute eine Mitgliedschaft ablehnt.
Der oder die Ecu?
Herausgekommen sind bei diesem ersten „Schritt zu einer stabilen Währungszone“, wie es offiziell hieß, Wechselkurse, die nur innerhalb enger Bandbreiten schwanken durften plus/minus 2,25 Prozent; nur Italien erhielt eine sechsprozentige Marge. Ergänzt wurde dieses Abkommen mit gegenseitigen Beistandsmechanismen, um mit Interventionen auf den Devisenmärkten die Kurse in diesen Bandbreiten zu halten. Geschaffen wurde am 13.März 1979 zudem das Unsinnlichste, was Finanzpolitikern überhaupt einfallen konnte: Eine Europa-„Währung“, für die weder Münzen noch Noten präsentiert wurden. Nicht einmal ihr Geschlecht war klar: Hieß sie nun die oder der Ecu?
Wenigstens diese Frage ist inzwischen entschieden: Die Ecu ist weiblich. Doch ob es auf Dauer bei der Abkürzung bleibt, die schnöde für „European Currency Unit“ oder „Europäische Währungseinheit“ steht, ist für die Zukunft noch offen. Vermutlich bleibt es aber dabei, wo der Begriff schon einmal eingeführt ist. Immerhin ist die Ecu inzwischen zu geprägten Ehren gekommen, wenn auch nur als Sammlerstück: Die belgische Regierung hat im letzten Jahr eine Ecu-Münze ausgegeben, mit der nicht einmal eine Ansichtskarte der Brüsseler EG-Zentrale gekauft werden könnte. Materielles Zahlungsmittel ist sie noch nirgendwo in Europa.
Formell handelt es sich bei der Ecu um einen Währungskorb, über den die Kurse der Mitgliedswährungen untereinander festgelegt werden. Derzeit besteht der Korb aus 0,719 DM, 1,31 französischen Franc, 0,878 britischen Pfund (obwohl Großbritannien nicht im EWS ist) 0,256 Gulden, 140 Lire, 3,71 belgischen und 0,14 luxemburgischen Franc, 0,219 Dänenkronen 0,00871 irischen Pfund und 1,15 Drachmen.
Der Wert der Ecu, etwa in D-Mark, errechnet sich aus der Summe dessen, was auf dem Devisenmarkt in Frankfurt für die anderen Währungen bezahlt wird. Sinngemäß gilt das auch für die anderen Währungen auf ihren jeweiligen Devisenmärkten. So hatte die ECU am letzten Wochenende einen Wert von 2,07 DM 7,06 FF 1.532 lit. Damit lassen sich die Kurse für die beteiligten Währungen ausrechenen.
Würden diese Wechselkurse nun völlig stabil sein, wäre es kein Problem, in allen beteiligten Ländern die jeweils einheimische Währung durch die Ecu auszutauschen - fertig wäre die Europäische Währungsunion, und Philips-Chef van der Klugt könnte das eingesparte Geld unverzüglich investieren. Voraussetzung dafür wäre allerdings die Selbstverständlichkeit, daß eine europäische Zentralbank das Geld emittiert und nicht verschiedene Zentralbanken, die etwa unterschiedliche Vorstellungen über erträgliche Inflationsraten und damit den Geldmengenzuwachs in „ihren“ Ländern haben. Dann gäbe es innerhalb kurzer Zeit eine italienische, deutsche oder französische Ecu mit unterschiedlichen Werten, und man könnte gleich zu den nationalen Währungen zurückkehren.
Nun sind Wechselkurse vor allem Ausdruck der wirtschaftlichen Situation eines Landes und der Finanzpolitik, die in ihm getrieben wird. Nur wenn es gelänge, die Volkswirtschaften und die Wirtschaftspolitik quer durch Europa zu vereinheitlichen, würden eine europäische Zentralbank und eine Euro-Währung, die ihren Namen verdient, nicht auf Kosten der schwächeren Länder gehen - eine absurde Vorstellung, weil etwa der Industrialisierungsgrad oder die Außenhandelsstruktur schlechthin nicht zu vereinheitlichen sind.
Die Praxis auch schon 1979, und sie hat sich bis heute, trotz der exportierten Stabilität, in den EWS -Mitgliedsländern auch nicht geändert. Zu Beginn des EWS gingen alle wesentlichen wirtschaftspolitischen Daten der beteiligten Länder weit auseinander: Wirtschaftswachstum, Haushaltsdefizite, Arbeitslosenquoten, Produktivität, die Abhängigkeit vom Ölpreis, vom Export und vom Dollarkurs, die Zinssätze und erst recht die Inflationsraten, die von 4,1 Prozent in der BRD bis zu 15,7 Prozent in Italien und 14 Prozent in Frankreich reichten. Einig waren sich die Regierungschefs 1979, daß der Bekämpfung der Inflation absolute Priorität zukommen sollte, und sie waren bereit, dafür zu zahlen - oder genauer gesagt: dafür zahlen zu lassen. Der erste Schritt zum D-Mark-Europa war getan.
Denn die stärkste Währung war auch damals schon die D-Mark, als deren Hüterin die Bundesbank in Frankfurt fungiert. Die verknappte das Geld, auch zum Preis sinkenden Wirtschaftswachstums, steigender Arbeitslosenzahlen und der „Konsolidierung der öffentlichen Haushalte“ - gemeint ist die Rotstiftpolitik. Die Stärke der D-Mark und die Verkoppelung über die Ecu führte dazu, daß die anderen Währungen künstlich gestärkt werden mußten, obwohl die „Devisenmarktteilnehmer“ - gemeint ist das internationale spekulative Kapital - sehr genau wußten, daß etwa der Franc eher abwertungsverdächtig war. Das Mittel, um dennoch für den Franc eine Bandbreiten entsprechende Nachfrage zu erzeugen, konnten denn auch nur höhere Zinsangebote an das Ausland sein. Zugleich wurde damit in Frankreich die Inflationsrate weiter gesenkt.
Krönungstheorie
So liegen die französischen Zinssätze bis heute um rund zwei Prozent über den bundesdeutschen. Das Ergebnis für die französische Wirtschaft: Die Zinsen drücken auf die Investitionsbereitschaft der Unternehmer, die Wettbewerbsnachteile werden zementiert, die schwächeren Länder mit ihren negativen Leistungsbilanzen und der importierten Stabilität ersticken, wie Amato es formuliert, an den hohen Zinsen - und zwar auch dann, wenn sie mit der plötzlichen Nachfrage nach D-Mark, die die bundesdeutsche Währung stärker macht, überhaupt nichts zu tun haben. Dem dann ansteigendem DM-Wert müssen die anderen Währungen durch Zinserhöhungen begegnen. Das läuft zugleich auf den Export von Arbeitslosigkeit aus der BRD in die anderen EWS -Mitgliedsstaaten hinaus.
Das Ergebnis insgesamt: In allen EWS-Ländern sind in den letzten zehn Jahren die Wechselkursschwankungen und die Inflationsraten deutlich zurückgegangen, die anderen Regierungen haben sich der restriktiven Geldpolitik der Bundesbank angepaßt und entscheiden sich im Zweifel eher für wirtschaftliche „Anpassungsmaßnahmen“ nach innen als dafür, mit EWS-Krediten, die doch zurückgezahlt werden müssen, ihre Kurse auf den Devisenmärkten zu verteidigen.
Das beste Beispiel für die Disziplinierung, die von der Bundesbank ausgeht, ist die Wende in der französischen Wirtschaftspolitik nach dem Wahlsieg von Fran?ois Mitterrand. Die neue Regierung machte ihre Sozial- und Konjunkturprogramme im Frühjahr 1983 sehr schnell wieder rückgängig, als die expansive Wirtschaftspolitik zur massiven Abwertung des Franc und zu einem Ausscheiden Frankreichs aus dem EWS zu führen drohte.
Wie geht es nun weiter? Die Zeit drängt, der Binnenmarkt ruft. In der Diskussion sind zwei grundsätzlich unterschiedliche Modelle. Das eine Konzept wird etwa von Finanzminister Stoltenberg favorisiert und fußt auf der „Krönungstheorie“: Eine europäische Zentralbank und die Ecu können nur der Abschluß eines Vereinten Europas sein; Schritt für Schritt müssen vorher die unterschiedlichen Stärken der Währungen angeglichen oder passende finanzielle Ausgleichsmechanismen für die benachteiligten Länder gefunden werden, wenn dereinst deren wirtschaftlicher Schutz durch Wechselkurse, Zinsen und Kapitalverkehrsbeschränkungen wegfallen.
Beseitigt werden müßte etwa die sechsprozentige Schwankungsbreite für die Lira und das Pfund, aber auch die Peseta und der Escudo müssen aufgenommen werden. Diese Meinung vertreten auch die meisten Wirtschafts- und Finanzexperten. Es dürfte die wahrscheinlichere Perspektive für die Zukunft sein. Ansonsten würden Zahlungen für Struktur- und Regionalfonds auf die Starkwährungsländer zukommen, denen gegenüber die heutigen Agrarausgaben nur ein Klacks sind.
Das andere Modell ist die möglichst schnelle Errichtung einer Zentralbank - viele Politiker, etwa auch Außenminister Genscher, und die Regierungschefs von Italien und Spanien, de Mita und Gonzalez, plädieren dafür. Entscheidend ist dabei allerdings, mit welchen Kompetenzen die Zentralbank ausgestattet sein soll. In Frankreich oder Italien sind die Zentralbanken praktisch der Regierung unterstellt, sind traditionelle Instrumente der Wirtschaftspolitik. Sie können relativ einfach die Zinsen senken oder die Geldmenge ausweiten, um die Konjunktur zu beleben oder die Arbeitslosigkeit anzugehen - auch wenn dabei Inflationsgefahren drohen.
Ganz anders ist es mit der Bundesbank, die auf ihre Unabhängigkeit von der Bundesregierung großen Wert legt und sich nur dem Stabilitätsgedanken verpflichtet fühlt. Auf keinen Fall würde die Bundesbank einer Europa-Zentralbank zustimmen, die auch nur in den vagen Verdacht geriete, sie könne Konjunkturpolitik betreiben, wenn die EG-Kommission das fordere, und ohne Bundesbank läuft nichts im EWS.
In jedem der beiden Fälle müssen die Mitgliedsstaaten erhebliche Kompetenzen an die europäische Zentralbank abtreten - darunter fällt vor allem das Haushaltsrecht der Parlamente. Daß diese dazu bereit sind, während das Europa -Parlament ein Schattendasein führt und die Regierungen die EG-Politik weitgehend unter sich ausmachen, ist kaum anzunehmen. Für die europäischen Multis würde dieser Weg allerdings der kürzeste von allen sein.
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