Frau Mutter geigt so wunderlich

■ 25jähriges Wunderkind gastierte mit einer Stradivari auf dem Arm und produzierte Bruch bei Lutoslawski und gemischte Gefühle beim Publikum / Musik ist wie Fernsehen, bloß umgekehrt: Je öfter man sie wiederholt, umso schöner wird sie

Ihre Geige ist für das deutschen Konzert-Liebhaber ungefähr das, was Ute Lempers Beine für das deutsche Musical-Publikum sind. Nur daß im Lande Beethovens, Brahms und Bruchs die halsbrecherische Akrobatik auf dem Griffbrett einer Stradivari sich noch immer höherer Wertschät

zung erfreut als die oberschenkelhalsbrecherische Beinakrobatik auf einer Broadway-Bühne. Bis auf den letzten Platz war die Glocke ausverkauft, als sie kam. Anne -Sophie Mutter, Ex-Wunderkind, frischvermählte Wunderlich.

Das rotchangierende, träger

lose Kleid, das mit dem Blick auf die zartfleischigen Schulterrrundungen auch die wünschenswerte Reminiszenz an den rosigen Speck eines Wunderkindes freilegt, kannte man schon: In gleichem Kleid drückt Frau Mutter ihrem musikalischen Vater Karajan schon auf dem Plattencover ihrer gemeinsamen Tschaikowsky-Aufnahme die Hand. Man kannte auch ihr herzerfrischendes Pausbacken-Strahlen, das - solange die Klischees im Showbusiness noch etwas taugten - den Nenas und Nickys und fröhlichen Teenie-Stars vorbehalten denn den von musikalischen Abgründen vergeistigten Nachschöpfern deutscher Klassik. Das also kannte man schon.

Denn was man nicht an Anne-Sophie Mutter kannte - das Bremer Publikum hätte es ohnehin nicht interessiert. Schon der Umstand, daß Frau Mutter es wagte, in das Zweistundenprogramm der konzertbewährter Wiedererkennungs -Garanten Hayden, Bruch

und Wagner die „Chain 2“ eines gewissen Herrn Lutoslawski, nicht nur Pole, sondern obendrein auch noch gerade 1913 geboren, hineinzumogeln, empfand die Mehrheit des zahlenden Auditoriums offenkundig als Zumutung - zu entschuldigen allenfalls durch die Tatsache, daß man sich die Komponisten eben nicht aussuchen kann, die einem ihre Stücke widmen.

Dabei hielt sich die musikalische Provokation durchaus in Grenzen. Was das Publikum auf dem Pausengang kopfschüttelnd und eindeutig unter die Kategorie „Keine Musik“ verbuchte, ist eher eine kompositorische Konzession an die Geige, die weitausladende melancholische Linien, expressive Bravourpassagen immer wieder mit ironischen Brechungen verknüpft. Eher ein Versuch, das klassische Tonsetzer -Handwerkszeug durch seine radikale Nutzung gegen seine Auflösung zu verteidigen, als sich an ihr bewußt zu beteiligen. Recht hingehört, läßt Lutoslawski schön traurig, schön sanglich, schön witzig, sogar schön klassisch finden. Bis auf die ad-libitum-Passagen hätte sich sogar fußwippend der Takt schlagen lassen, wenn man gewollt hätte. Das Bremer Publikum wollte aber

nicht. Es wollte ungehalten sein, um die anschließende Versöhnung umso schöner zu finden.

Max Bruch. Violinkonzert. Herzöffnender Schmachtfetzen, rechte Mischung aus pomphaft zur Schau gestellter Seeleninnigkeit und geigerischer Virtuosität, Festbestandteil im Pflicht-Repertoire jedes Violintalents auf dem Weg zu Weltgeltung. Es war nicht zu erwarten, daß ausgerechnet Anne-Sophie Mutters Version der Bruch-Schnulze neue interpretatorische Erkenntnisse abzwingen würde. Wurde auch gar nicht verlangt. Auch Bruch sollte

vor allem „bekannt“ klingen. Obwohl: Man kann Bruch noch glatter spielen, noch graziöser, noch salonhafter, noch strahlender in den schwindelnden Höhen, noch eingeebneter im vertrackten Rhythmus. Aber, als wolle sie der künstlichen Süße der Noten den einkomponierten Kitsch austreiben, gab Anne-Sophie-Mutter ihrer Stradivari einen harzigen, aufgerauhten Ton, zupackend auf der empfindsamen E-Saite, fast knurrend auf der G-Saite. Schön, wenn das Absicht wäre, schlimm für das Wunderkind, wenn nur Unvermögen.

K.S.