: MÄNNER FÜR DIE ZUKUNFT
■ Die BILDO-Akademie wird ein Jahr alt und blickt mit einer Ausstellung auf ihr erstes Semester zurück
In den großen, hellen Räumen der ersten privaten Akademie für Mediendesign und Kunst, der Steglitzer BILDO-Akademie, hängen nun die Arbeiten des vergangenen Eröffnungssemesters. „Die fotografische Simulation“ ist die Ausstellung betitelt und will auf nichts weniger als 150 Jahre Fotografie zurückblicken. Die Spannweite der Semesterarbeiten reicht von Porträtfotos, bei denen mit verschiedenen Brennpunkten experimentiert wurde, über Arbeiten zum symmetrischen und freien Gleichgewicht in einem Bildraum und der bildlichen Darstellung eines Begriffs bis zu Fotos „Weiß auf Licht“ und „Weiß auf Weiß“. Auf dem Boden verstreut liegen die Reste des Semesters und laden ein zum Wühlen und Stöbern in fremden Erinnerungen. Eine bunte Computergrafik, die zu der Musik von Philip Glass entstand, ist ins Riesige vergrößert worden. DIN A 4-Blatt mußte neben DIN A 4-Blatt gehängt werden. Die einzelnen Bausteine gehen im Überdimensionalen auf wie Hefeteig im Ofen und sehen nun aus wie Backsteine.
In den Ecken stehen zwei Bildschirme mit Computeranimationen. Einer läßt alle paar Minuten ein schrägstehendes Auge blinzeln, auf dem anderen Apparat kämpfen zwei Boxer, die vor über hundert Jahren von einem alten Meister abgelichtet wurden und nun wieder lebendig werden. Die Linke, die Rechte und einen Dribbelschritt zurück und das Ganze wieder von vorne, stundenlang. Das ist originell, lustig und handwerklich prima. Aber daß einige der SchülerInnen nicht in die Werbung gehen wollen, sondern „sicherlich Künstler werden“, wie einer der Gründer der Akademie, Tomas Born, versichert, das sieht man den Exponaten noch nicht an. Alle zusammen verbreiten eine Atmosphäre, die an das Wartezimmer eines dem technischen Fortschritt aufgeschlossenen New-Age-Arztes erinnert.
Zwölf StudentInnen haben sich an der BILDO-Akademie eingeschrieben. Sie müssen pro Semester 3.480DM für ihr Studium aufbringen. Sie bekommen das Geld von ihren Eltern, jobben oder haben ein Darlehen aufgenommen, überzeugt davon, daß sie in Steglitz eine außergewöhnliche Ausbildung erhalten, die ihnen nach Abschluß ihres vierjährigen Studiums die Pforten in ein interessantes Berufsleben als „Diplom-Mediendesigner“ öffnet.
Soviel Optimusmus verschlägt einem die Sprache. So sollen die Mitglieder der BILDO-Akademie selbst zu Wort kommen. Nicht nur in dem folgenden Gespräch, an dem die beiden StudentInnen Dieter Jaufmann und Andrea Grosse-Leege, die Gründungseltern Anna Heinevetter und Thomas Born und der später hinzugekommene Dozent für Medientheorie, Jochen Lingnau, teilnahmen, dominieren die Männer...
taz: Sind bei euch nur Männer eingeschrieben?
Thomas Born: Ja, fast. Leider. Unter den zwölf Leuten gibt es zwei Studentinnen.
War das schon bei der Bewerbung so?
Anna Heinevetter: Im Gegenteil. Wir haben extra Bewerbungen von Frauen bevorzugt behandelt. Wir wollten Frauen ermutigen. Aber das scheint auch häufig eine Geldfrage zu sein.
Wieso? Haben Männer mehr Geld als Frauen?
Anna Heinevetter: Für bestimmte Sachen ja. Das ist eine Vermutung von mir und einer Studentin gewesen, daß Frauen es sich noch mehr überlegen als Männer, für ein privates, relativ kostspieliges Studium Geld auszugeben, möglicherweise werden sie auch von den Eltern weniger dazu ermutigt als Söhne. Inge meinte, daß man ein großes Selbstwertgefühl haben müsse, um eine teure Ausbildung zu beginnen. Insgesamt haben sich mehr Männer beworben als Frauen, aber nicht so sehr, wie sich das jetzt im Studium niederschlägt. Man kann schon davon ausgehen, daß die Frauen eher einen Rückzieher gemacht haben als die männlichen Bewerber.
Habt ihr denn vor, die Gebühren so hoch zu belassen, oder werdet ihr auch einmal Senatsförderung bekommen?
Tomas Born: Das Problem besteht darin, daß der Berliner Senat einerseits Augen und Ohren zumacht, aber in der Bundesrepublik, in Köln und Karlsruhe, Medienakademien in großem Stil geplant werden, mit Millionenetats und dünnen Konzepten. In den neunziger Jahren sollen diese Zentren eröffnet werden, aber was da geplant wird, existiert heute schon besser: Bei uns hier war das ja keine politische Entscheidung - wo sich der Herr Späth einen Spielplatz baut oder ein Denkmal setzt -, sondern wir haben das ja aus unserer künstlerischen Arbeit entwickelt. Wir hoffen, daß sich der neue Senat von Berlin den essentiellen kulturellen Fragestellungen gegenüber offener zeigt als der bisherige.
Anna Heinevetter: Es gibt Untersuchungen vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft über Medienausbildungen an Fachhochschulen und Kunsthochschulen. Es gibt sehr viele Analysen, was alles fehlt. Das erschöpft sich immer in Zahlen: Es sind nicht genügend Geräte da, nicht genügend Dozenten, nicht genügend Geld. Daran sieht man, daß immer ein wichtiges Kriterium vergessen wird, nämlich die künstlerische Qualität der Arbeit.
Thomas Born: Es gibt immer nur einen Grund, sich mit modernen Medien zu beschäftigen: daß es sie gibt, daß die Industrie sie entwickelt hat, immer schneller, so daß man mit dem Kaufen kaum mehr nachkommt. Hier liegt die Crux der Geschichte, daß man meint, das muß man jetzt kaufen. Das ist das einzige Problem, das man in der Kulturpolitik verfolgt. Eine Medienakademie muß her, damit jetzt die Geräte da hinein können. Dann sollen die Leute irgendetwas damit machen, damit man sie auch benutzt. Das hat überhaupt keine inhaltlichen Gründe mehr. Man macht es nur, weil es da ist.
Habt ihr als Studenten bisher das bekommen, was ihr erwartet habt?
Andrea Grosse-Leege: Ich wollte eine gute Ausbildung. Ich habe gesehen, daß hier etwas geboten wird, was ich vorher noch nicht kannte. Ich habe nach einer Möglichkeit des kreativen Arbeitens mit dem Computer gesucht, weil mir klar war, daß du die auch anders einsetzen kannst als zur kaufmännischen Berechnung. Aber das wurde nicht angeboten. Du kannst CAD machen, und auch im Grafikprogramm kannst du eine Einweisung bekommen, aber das ist auch alles. Als ich von der BILDO-Akademie gelesen habe, bin ich gleich nach Berlin gefahren, das war kurz vorm Bewerbungsschluß.
Was habt ihr mit den Computern bisher gemacht?
Dieter Jaufmann: Die Programmierungssprache gelernt. Es ist ziemlich unterschiedlich, weil manche von uns sich damit schon vorher beschäftigt hatten. Ich hatte am Anfang noch Schwierigkeiten mit der Technik.
Funktioniert der Unterricht denn, wenn die Leute auf so verschiedenen Levels sind?
Dieter Jaufmann: Wer 'ne Idee hat, der macht. Die anderen gucken zu oder erheben Einspruch.
Andrea Grosse-Leege: Ich finde das ziemlich positiv, weil jeder etwas anderes beiträgt und dadurch für jeden etwas Neues entsteht.
Dieter Jaufmann: Und dann glaub‘ ich, wenn man erst mal ein paar Arbeiten gemacht hat, kann man sehen, was noch fehlt und besser werden könnte.
Und sonst der Unterrichtsablauf? Da war noch Medienorganisation und all das andere. Läuft das alles parallel?
Thomas Born: Die diversen Fächer gliedern sich in die Grundstruktur: Medienpraxis, -gestaltung und -theorie. In diesem Semester beschäftigen wir uns im wesentlichen mit Fotografie, Computersprache und Medientheorie. Gestaltungslehre teilt sich in Gestaltung und Raumerfahrung, also Kung Fu und zweidimensionale Gestaltung.
Anna Heinevetter: Fotografie teilt sich auf in experimentelle Technik und themengebundene künstlerische Praxis.
Thomas Born: Die beiden ersten Semester bilden die Grundlehre. Wir fangen an beim stehenden Bild und betrachten dies als Grundlage für die Auseinandersetzungen mit dem bewegten Bild. Die Organisation, also Rhetorik, Medienrecht usw. sind erst Fächer im Hauptstudium. Rechtsanwälte, Manager, Verwaltungsfachleute werden als Gastdozenten direkt aus ihrer Praxis vermitteln.
Habt Ihr denn schon Konatakte nach draußen geknüpft, oder beschränkt sich euer Aktionsradius auf die Akademie?
Dieter Jaufmann: Unsere derzeitige Ausstellung und eine fünfzehnminütige Sendung im Bürgerradio sind unsere ersten „Auftritte“ in der Öffentlichkeit gewesen.
Und Kontakte zu anderen Bildungseinrichtungen?
Thomas Born: Wir planen einen Datentransfer über Mailboxen, also über Telefondrähte, zu anderen Akademien. Da bieten die Frankreich und Amerika an. In beiden Ländern existieren bereits Kontakte zu experimentell orientierten Hochschulen.
Und wie sieht der Unterricht in Mediengeschichte aus?
Dieter Jaufmann: Das ist Geschichte, die auf historische Kurse zurückführt. Und knallharte Theorie, was der letzte Sprung der Entwicklung ist. Das ist schon klar, daß bestimmte Prozesse von der geschichtlichen Entwicklung nicht abzutrennen sind.
Thomas Born: Es wird unter anderem gelehrt, was Theorie eigentlich bedeutet, um die interdisziplinäre Verbindung zwischen Theorie und künstlerischer Praxis einzulösen.
Und wie ist der theoretische Unterricht aufgebaut?
Jochen Lingnau: Wir haben uns im ersten Semester, das generell unter dem Aspekt „Der fotografische Raum“ stand, mit der Theorie von Walter Benjamin beschäftigt, mit dem Kunstwerkaufsatz. Dann haben wir verschiedene Texte herangezogen. Wir haben am Anfang des Semesters die Vorgeschichte der Fotografie betrachtet, um zu sehen, daß es gelogen ist, daß die ganze Fotografie mit Niepce, Daguerre oder Fox beginnt, sondern bis ins Mittelalter zurückgeht. Wir wollen auch sehen, daß die Wissenschaft nicht nur aus Ergebnissen besteht. Jeder forscht da in seiner Ecke, und keiner weiß mehr, wie die Ergebnisse zustandegekommen sind. Und dann wird plötzlich mit diesen Ergebnissen argumentiert. In der Fotografie ist das genauso.
Und wie sind Theorie und Praxis miteinander verwoben?
Jochen Lingnau: Wir gehen davon aus, daß man, wenn man die Kunst betrachtet, die Theorie dazu braucht. Das sieht man ja an den modernen Künstlern, die sind alle auf die eine oder andere Art Theoretiker, haben oft selbst Kommentare zu ihren Werken verfaßt, in einem Rahmen, ohne den man diese Kunst überhaupt nicht verstehen kann. Deshalb hat der Theorieunterricht hier einen besonderen Stellenwert. Auf der einen Seite vermittelt er natürlich die Geschichte des Bildes. Wir wollen aber auch zusammen lernen, wie man theoretisch arbeitet. Die Mediendesigner, die hier ausgebildet werden, sind auch, das kann man so sagen, Wissenschaftler in dem Sinne, daß sie ihre eigenen Werke einordnen können müssen. Das ist ja in unserer Zeit, wenn man die ganze Diskussion um die Postmoderne sieht, das entscheidende Problem. Alle reden davon, daß die große Deutungsklammer fehlt.
Thomas Born: Die Gründung der Akademie selbst ist ein Produkt langjähriger interdisziplinärer Arbeit und Erfahrung zwischen Medienkünstlern und Wissenschaftlern. Bevor es die Akademie gab, entstand die Edition BILDO. Seit 1986 führen die BILDO-Gründer und Mitarbeiter Fortbildungslehrgänge in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Arbeit auf dem Gebiet technischer Bildmedien durch. Anna Heinvetter und ich blicken außerdem auf eine zehnjährige gemeinsame Ausstellungspraxis zurück. Auf all diesen Aktivitäten, die immer von künstlerischer Reflexion getragen worden sind, beruht das Bildungskonzept dieser ersten tatsächlich existierenden Medienkunstakademie.
Claudia Wahjudi
„Die fotografische Simulation“ bis zum 1. August, Mi-Fr, 14 -18 Uhr in der BILDO-Akademie, Althoffstraße 1, 1-41.
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