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„Unheimlich wendige Frauen“

■ Ein Besuch bei der ersten Berliner Frauen-Ringgruppe / Ein „Männer-Sport“ wird erobert

Der Doppelnelson sitzt: Regina hat Birgit von hinten die Arme unter die Achseln geschoben. Ihre Hände sind fest im Nacken der Gegnerin verschränkt. Birgit dreht und windet sich wie eine Schlange. Sie versucht mit aller Kraft, sich aus der eisernen Klammer zu befreien, bis Regina das Gleichgewicht verliert. Beide Frauen stürzen, Arme und Beine fest ineinander verknäult, auf die Matte. Das Keuchen der Kämpferinnen ist deutlich zu hören. Schließlich muß Regina aufgeben, Birgit hat sie zu Boden gerungen. „Nach zwei bis drei Minuten fängst du an zu keuchen“, sagt Regina, Gründerin der Frauen-Ringgruppe. „Das hätte ich nie gedacht, daß man dabei so schnell aus der Puste kommt.“

Vor einem halben Jahr erst hat die 32jährige das Ringen als ihren Sport entdeckt. „Männerringen fand ich früher absolut widerlich.“ Ein Videofilm über Frauenringkämpfe in den USA weckte ihr Interesse. Seitdem trainiert sie mit zwölf anderen Frauen zweimal die Woche in einer Kreuzberger Fabriketage. Und ist total begeistert: „Das Ringen macht einfach unheimlich Spaß!“

Die Frauen ringen im Freistil - nach denselben Regeln wie die Männer. Ziel ist es, die Gegnerin auf die Matte zu bringen. Verloren hat, wer länger als drei Sekunden auf den Schultern liegt oder vorher aufgibt. „Der Unterschied zu den Männern ist vielleicht“, sagt Gerald, der Trainer der Gruppe, „daß dort alles auf eine große Kraftanstrengung hinausläuft, während bei den Frauen eher Ausdauer zählt.“ Nicht nur das: „Manche Frauen sind unheimlich wendig,“ hat Regina festgestellt. So ist nicht von vorneherein entschieden, daß die schwerere oder stärkere Frau die Überlegenere ist, auch Schnelligkeit und Geschick können den Kampf entscheiden. Als erstes müssen Frauen, die ringen, jedoch gegen jede Menge Vorurteile ankämpfen. „Die Leute stellen sich unter Frauenringen alles andere vor, nur das nicht, was wir hier machen!“

Diese Erfahrung hat Regina schön öfters gemacht. So meldeten sich auf die Kleinanzeige, in der die Frauen noch weitere Ringerinnen suchten, auch Männer, die gerne mal beim Training zuschauen wollten. „Die denken, da ringen Frauen, das ist geil. Ein Mann wollte angeblich nur seine Schwester anmelden und war ganz scharf auf unsere Adresse.“ Andere finden es eher komisch oder abstoßend, wenn Frauen sich in der ältesten Sportart der Welt versuchen wollen. Auch Frauen verhalten sich oft zurückhaltend: „Ich denke, das liegt am Körperkontakt“, erklärt Regina, „vielen ist der Sport einfach zu nahe.“ Doch gerade das macht in ihren Augen die Faszination des Ringen aus: „Du kannst deine Kräfte an jemand anderem messen.“ Birgit dagegen hat sich für das Ringen entschieden, weil es im Gegensatz zu anderen Kampfsportarten nicht so techniklastig ist. „Beim Ringen gibt es keine Trockenübungen“, sagt dazu Trainer Gerald. Auch Anfängerinnen werden gleich ist kalte Wasser gestoßen, Griffe und bestimmte Techniken erst nach und nach trainiert. Während des Kampfes, der im Schnitt zwei bis acht Minuten dauert, bleibt den Frauen sowieso kaum Zeit zum Überlegen. „Die klassischen Griffe fallen mir meist erst hinterher ein, „ sagt Regina. „Ein Ringkampf besteht eben nicht nur aus zehn Doppelnelsons und fünf Beinscheren.“ Doch mit dem Training kommt die Routine, die Griffe sitzen und werden automatisch ausgeführt.

Regina und Bettina üben jetzt die Beinschere. „Wir haben ausgemacht, im Training nicht fest zuzudrücken, das kann nämlich sehr schmerzhaft sein“, sagt Regina. Sie zeigt Birigt noch schnell einen Trick gegen die mörderische Zange: im entscheidenden Moment die Bauchmuskeln anspannen!

Die Frauen-Ringgruppe ist bislang einzigartig in Berlin, und auch in Westdeutschland gibt es keine Frauenringvereine. Nur in München, so erzählt Regina, gäbe es eine Frauentruppe: „Sportlich sind die unheimlich gut. Die Frauen treten allerdings oben ohne auf, lassen sich dabei filmen und verkaufen dann die Videos.“ Derartige Auftritte kommen für die Berliner Frauen nicht in Frage, aber etwas populärer würden sie ihren Sport gerne machen. Allein schon mangels Masse: „Wenn du immer dieselbe Gegnerin hast, dann wird es langweilig, dann kennst du ihre Tricks und Griffe bald auswendig.“ Die Ringerinnen suchen deshalb noch Verstärkung. Interessentinnen können sich unter 396 15 52 oder 805 53 54 melden.

Frauke Langguth

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