: Ruhm mit Umlaut
Seine Legende ist ihm keine Last. Ohne Mühe paßt Gerhard Rühm unter seine kuriose Prinz-Heinrich-Mütze: eine Mehrfachbegabung, ein Künstler, der zeichnet, komponiert, „konsequent“ dichtet und nicht nur in den Mußestunden in einem Obergeschoß der Hamburger Hochschule für Bildende Künste das Piano bedient, sondern auch, um öffentlich seine eigenen Werke zu interpretieren - eine multiple Persönlichkeit mithin, einer, von dem man eher erwartet, daß er sechs Hüte gleichzeitig trägt.
Doch bescheiden ist er nur auf den ersten Blick: Rühm, der seinen Namen „Ruhm mit Umlaut“ buchstabiert, hat eine lange und abwechslungsreiche Karriere hinter sich: 1930 in Wien geboren, studiert er in Beirut orientalische Musik, nimmt in den Fünfzigern als Mitbegründer der berüchtigten „Wiener Gruppe“ (Artmann, Oswald Wiener, Bayer etc.) an einer der radikalsten Manifestationen progressiver Literatur in diesem Jahrhundert teil.
Er schreibt seine Texte in Minuskeln, um die Lektüre auch denen zu ermöglichen, die „der grossbuchstaben noch nicht mächtig sind“, wie es sein Freund und Produktionspartner Konrad Bayer einst formulierte. Einige Passagen seines Werkes klingen nicht nur wie die Schulgrammatik oder die tageszeitung, sondern sind auch tatsächlich dort entlehnt: Der „inventionismus“, wie die Gruppe ihre Montagetechnik neologisierend beschreibt, schult den Blick für die bisweilen ungewöhnliche Dichte, die poetische Qualität des Alltäglichen, wie sie in Lehr- und Übungssätzen oder Schlagzeilen vorfindlich ist.
Rühm und seine Kollegen performieren, aktionieren und paradieren durch Wien. Es sind skandalöse Jahre, man trägt „grablaternen“ und „grabkränze“ in die Innenstadt, und alle zeigen ihr morbides Antlitz, während sie „aus werken von baudelaire, poe, gerard du nerval, georg trakl und gomez de la serna deklamieren“.
Für das erzreaktionäre Wiener Publikum ist das mehr als eine literarische Verkehrsstörung. Man bewirft sie mit Gegenständen, die gerade zur Hand sind. Nach dem Zerfall der „Wiener Gruppe“ erobert sich Rühm alte und neue Gebiete der Kunst, tourt 1969 als Chansonnier durch die Republik, veröffentlicht Schallplatten, malt Wortbilder (z.B. „ICH“, bei geschlossenen Augen in vielen Schichten übereinandergeschrieben; „ICH“, gezeichnet, als der Zeichner müde war).
Anfang der siebziger Jahre erhält er eine Professur für experimentelle Malerei in Hamburg, die ihm erlaubt, das immer schon latent vorhandene didaktische Konzept seiner Arbeit in Lehre umzusetzen.
In den letzten Jahren nimmt die Zahl aktueller und retrospektiver Ausstellungen zu, Rühm feiert Revivals mit den Kollegen aus der österreichischen Zeit des Aufruhrs und moderiert Gruppenveranstaltungen in der ihm eigenen Art: „Wir lesen jetzt einen Text von Artmann, Rühm, Achleitner und mir.“ Rühm, der in seiner Ein-Zimmer-Klause in der Uni (mit Naßzelle hinterm Paravent) wie ein Andre Breton im Landschulheim wirkt, produziert auch nach 35 Jahren Litortur ungebrochen im Geist der Devise, die er einst gemeinsam mit Bayer schuf: „stets meisterwerke. das literarische wunderteam“, heute als Ein-Mann-Betrieb.
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