Schul-Lust nicht nur im 10. Schuljahr

■ SPD-Forum über das 10. Pflichtschuljahr und die „neue pädagogische Chance“ für die Sekundarstufe I / Hauptschule soll sich nicht als „defizitäre Wissenschaftsschule“ verstehen, aber dennoch auf Fachoberschule und Sek II vorbereiten

„Schulmüde“ sind sie und dennoch soll ihnen ein zehntes Schuljahr als Pflicht aufgebrummt werden - macht das Sinn und wie soll das gehen? „Die Kritiker hätten recht, wenn es darum ginge, dem jetzigen dreijährigen Hauptschulbildungsgang nur einen vierten Jahrgang hinzuzufügen“, be

kannte der Sprecher der Bildungsdeputation Heinz Aulfes gestern vor dem SPD-Forum „10. Pflichtschuljahr“. Es gehe aber um eine „neue pädagogische Chance für die Sekundarstufe I“, um eine „Neugestaltung“ des Hauptschul-Bildungsganges, dessen neue Pädagogik „aus

strahlen soll“ auf die gesamte SEK I: mehr Praxisbezug, mehr Handlungsorientierung, Projektmethode, Werkstattphasen, Öffnung der Schule zum Stadtteil, mehr Lebensorientierung und mehr Spaß soll dabei sein, so daß das „Lernen-Wollen“ schon im 7. Schuljahr anfängt. Die Schulre

form der 60er und 70er Jahre habe die die gymnasiale Bildung zum Maßstab gemacht, ganz anders nun die neue Reform. Und der GEW, die die Idee begrüßt und gleichzeitig auf die erforderlichen Kosten hingewiesen hatte, gab Aulfes weisen Rat: „Wer das Wagnis, mit noch unvollkomme

nen Mitteln etwas in Gang zu setzen, scheut, wird leider nichts in Gang setzen. Er wird seine fortschrittliche Seele rein halten, aber den Fortschritt nicht bewirken können.“

Die gut 100 auf dem SPD-Forum anwesenden LehrerInnen waren nicht recht zu begeistern. Das Stichwort „Handlungsorientierung“ sei vor zwanzig Jahren schon als Konzept ausgegeben worden, erinnerte eine Lehrerin von der Gesamtschule West - allerdings seien in der Zwischenzeit die Mittel so gekürzt und die Bewertungen der praktischen Anteile im Lehrplan so reduziert worden, daß wenig von der Idee übrig blieb. Die Bremer Schulpolitik habe praktiziert, was Aulfes hier beklage, daß nämlich das Gymnasium „Vorbild der anderen Bildungsgänge“ sei.

Ein Lehrer bekannte, er habe „nicht mehr den Elan und die Kraft“ für eine Reformanstrengung wie vor zehn Jahren - mit dem Einstellungsstopp fehlt es in den Schulen an frischen, jüngeren Kräften von der Uni. Ein Sonderschullehrer berichtete, die Integration der Kinder, die langsamer lernen oder Lernbehinderungen haben, sei vor zwanzig Jahren versprochen worden - auch bei der jetzt angepriesenen Neuorientierung sei die nicht eingeplant. Auch die Uni kann zu der neuen pädagogischen Chance wenig beitragen: Lehrerbildung

„findet so nicht mehr statt“, berichtete der Hochschullehrer Ubbelohde.

Die Behörde, berichtete Dr. Caspar Kuhlmann, ist mit ihren Planungen noch nicht sehr weit. Die Hauptschule soll nicht als „defizitäre Wissenschaftsschule“ angesehen werden, sondern deutlicher „Sinnbezüge zwischen schulischem Lernen, der eigenen Person und der gesellschaftlichen Realität“ herstellen. Zum Beispiel soll Englisch wieder Pflichtfach werden mit neuem Akzent: „Viel hören und sprechen, weniger lesen und kaum schreiben.“ Gleichzeitig betonte der Schulplaner, jeder dritte Hauptschulabsolvent besuche eine Fachoberschule oder einen Gymnasial-Zweig, ein Hauptschul -Absolvent müsse dafür ausreichende Vorkenntnisse in Physik oder Englisch haben: „Daß die Zubringerschule ihm auch ein solches Fachwissen vermittelt, darauf vertraut der Schüler.“

Zumal auf dem Arbeitsmarkt auch für Facharbeiter-Berufe das Abitur verlangt wird, ist jeder Abstrich an dem Stoff, der für eine weiterführende Schulbildung erforderlich ist, problematisch. Wo da der Spielraum für eine wirklich eigenständige pädagogische Gestalt liegt, scheint in der Bildungsbehörde noch umstritten zu sein; auf dem SPD-Forum wurde danach nicht einmal gefragt.

K.W.