: Schily: „Es fehlt das Juckpulver“
■ Podiumsdiskussion der neuen „Republikanischen Gesellschaft“ über Rot-Grün in Berlin: „Seifenblase oder Atem der Geschichte“ mit Otto Schily, Peter Glotz, Heidi Bischoff-Pflanz, Gerd Wartenberg
„Ich konnte das Programm noch nicht so analysieren wie der Referent“, meinte die AL-Fraktionsvorsitzende Heidi Bischoff -Pflanz im Anschluß an den Einleitungsbeitrag von Thomas Schmid (den wir auf der letzten Seite dokumentieren). Es schien, als hätten auch die übrigen TeilnehmerInnen an der Podiumsdiskussion vom Montag abend zu wenig Ahnung oder wenig Neigung, um die Inhalte der neuen Koalitionsvereinbarungen kritisch zu würdigen. Bischoff -Pflanz blieb technisch-mechanistisch und beschränkte sich darauf, mehr von dem Wie der Verhandlungen als von dem Was zu berichten. Unvermeidlich kam die Beteuerung, daß die „Basis“ keinesfalls übergegangen worden ist. „Wir mußten ran, und wir wollten ran“, faßte sie die Auffassung zusammen, mit der sie in die Verhandlungsrunden gegangen war.
Auch Gerd Wartenberg, Bundestagsabgeordneter der SPD, verteidigte die „Spiegelstrich-Mentalität“. Er fand, daß einiges von der Kritik Thomas Schmids durchaus berechtigt sei. Schmid hatte u.a. von dem Eindruck gesprochen, die neue Regierung sei „in der Hand von Pagels und der GEW“. Wartenberg konstatierte, in dem Koalitionspapier schimmere etwas „ÖTV-Sozialismus“ durch. So schlecht sei es aber nun auch wieder nicht.
Auf die Frage, was er dazu beitragen könne, daß die rot -grüne Koalition in Berlin funktioniert, antwortete Glotz: „Größte Zurückhaltung.“ Dann riet er zumindest den eigenen Genossen, „nicht eine gemäßigtere AL“ zu werden. Berlin als Modell zu bezeichnen, war ihm „zu großkotzig“. Modellcharakter habe die Verbindung allenfalls für Berlin selber. Seine Skepsis begründete er mit der „tiefen Kluft“ zwischen dem, was auf AL-Mitgliederversammlungen beispielsweise zur Wirtschaftspolitik gesagt wird, und den Positionen seiner Partei. Und dann seien da noch die ungeklärten Positionen der AL zur Innenpolitik, zum Gewaltmonopol und vielem mehr. „Wir wissen ja auch einiges von Ihnen nicht“, konterte Otto Schily (Die Grünen). Es wäre beispielsweise schon ganz hilfreich, wenn die SPD in ihrem Programm kennzeichnen würde, welche Punkte nun eigentlich für eine SPD in der Regierung oder eine SPD in der Opposition gedacht seien, sagte er unter Beifall. Schily, der der rot-grünen Koalition aufgeräumt versicherte, seinen Segen sprich seine Solidarität habe sie, fehlte in dem Programm das „Juckpulver“. Konfliktvermeidung sei aber falsch, wenn sie darin ende, daß sich die beiden Partner „auf der niedrigsten Stufe“ begegnen. Als „Juckpulver“ schlug Schily erneut eine Anzahl autofreier Sonntage vor. „Das bringt Leben in die Bude!“
Schmid bemängelte in der Diskussion, daß gar nicht der Versuch gemacht wurde, die zwei unterschiedlichen Kulturen deutlich zu machen, die hier aufeinandergestoßen sind - die SPD, die aus der alten Arbeiterbewegung stamme, und die AL, die sich aus der 68er-Bewegung, angereichert mit einem ökologischen Umfeld zusammensetze. Eins habe er '68 gelernt: Man müsse deutlich formulieren, was man will, und dürfe nicht verstecken, was man eigentlich meint.
RiHe
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