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Aoun zieht in den „Befreiungskrieg“

Der Chef der libanesischen Militärregierung fordert eine Intifada gegen Syrien und macht das Regime in Damaskus für das Bombardement von West-Beirut verantwortlich / Aoun gibt sich als Kämpfer gegen Terrorismus und Drogenhandel  ■  Aus Beirut Petra Groll

Weitgehende Waffenruhe und Hochspannung herrschten am Mittwoch vormittag in der libanesischen Hauptstadt Beirut, wo sich am Vortag die seit knapp 15 Jahren verfeindeten Bürgerkriegsparteien die schlimmsten Gefechte seit 1985 geliefert hatten. Nach Angaben von Krankenhäusern und Sicherheitskräften forderten die mit schwerer Artillerie über die „grüne“ Beiruter Demarkationslinie hinweg geführten Auseinandersetzungen in den moslemischen Vierteln 35 Tote und 155 Verletzte, im christlich kontrollierten Ost-Beirut fünf Tote und zwölf Verletzte. In der Umgebung der Hauptstadt kam es auch gestern zu neuen Gefechten.

Der Beiruter Flughafen sowie Schulen, Banken, öffentliche Einrichtungen und Geschäfte blieben geschlossen. Nur Lebensmittelhändler öffneten für wenige Morgenstunden und erlaubten es der Bevölkerung, sich mit haltbaren Vorräten einzudecken.

Die Waffenruhe vom Dienstag abend war ohne politische Grundlage zustande gekommen, nachdem die Armee des christlich-maronitischen Generals und Chefs der Ostbeiruter Militärregierung, Michel Aoun, den blinden Beschuß West -Beiruts eingestellt hatte. Bei einer Pressekonferenz am Dienstag abend nahm der General zu den Tagesereignissen Stellung. Er forderte den sofortigen Abzug aller syrischen Truppen aus dem Libanon und beschuldigte die mit dem moslemischen Oppositionslager verbündete syrische Armee, die Gefechte provoziert zu haben. Aoun sprach von Beweisen einer direkten syrischen Beteiligung an den Gefechten: „Der Befreiungskrieg gegen die syrische Besatzung hat begonnen.“

West-Beirut sei die Westbank, konstatierte Aoun und rief die Bevölkerung in den von Syriens 35.000 bis 40.000 Soldaten kontrollierten Gebieten auf, die Steine aufzunehmen und die Intifada zu unterstützen. Die blindwütigen Bombardements und hohen Verlustziffern in West-Beirut erklärte der General mit syrischem Beschuß. Damaskus habe die Westbeiruter Bevölkerung bombardieren lassen, um den Libanon weiter zu spalten und das moslemische Lager gegen seine „einzig legitime“ Regierung in Ost-Beirut aufzubringen. „Seine Kanonen“, so Aoun, hätten „ausschließlich militärische Ziele anvisiert“. Letzteres veranlaßte die moslemisch geführte Übergangsregierung in West-Beirut klarzustellen, sie habe weder militärische Einrichtungen noch illegale Häfen auf Straßenkreuzungen und Wohngebieten versteckt. Syrien dementierte jedeede Beteiligung an den Bombardements.

Politische Beobachter und die Presse versuchten am Mittwoch, die Position des Generals und seine schier phantastischen Stellungnahmen vom Vorabend zu klären. Abgesehen von der üblichen Polemik steht immerhin eine Kriegserklärung an Syrien im Raum, das als Verbündeter der moslemischen Opposition etwa 65 Prozent des Landes kontrolliert. Zu einer vergleichbaren Zuspitzung der traditionell gespannten Beziehungen zwischen der maronitischen Minderheitsherrschaft und dem Damaszener Regime war es 1983 gekommen, als Exstaatspräsident Amine Gemayel drohte, die syrische Hauptstadt zu bombardieren.

General Aoun, der im vergangenen September nach einem kalten Putsch die Nachfolge Gemayels antrat, dessen Militärkabinett jedoch vom moslemischen Oppositionslager nicht anerkannt wird, hatte bis vor wenigen Tagen noch stetigen Kontakt über Mittelsleute nach Damaskus aufrechterhalten. Schließlich hat General Aoun seine Präsidentschaftsambitionen nicht aufgegeben und sich besonders nach einem militärischen Coup gegen die bis dato das „Christenland“ beherrschende Maronitenmiliz „Forces Libanaises“ gesteigertes Wohlwollen von Syrien erhofft. Vor allem die drusische progressiv-sozialistische Partei lehnt jedoch Aouns Präsidentschaft rigoros ab. Damaskus soll dem General im Rahmen der von der arabischen Liga geführten Vermittlungsversuche signalisiert haben, daß im Falle einer nationalen libanesischen Versöhnung bestenfalls der Posten des Armeechefs winkt.

Aus Aouns wilder Polemik gegen die syrischen Nachbarn vom Dienstag abend muß vor allem geschlossen werden, daß der General sich auf Unterstützung der USA und einiger arabischer Königtümer und Emirate verläßt. Nicht umsonst stilisierte sich Aoun zum Helden im Kampf gegen den internationalen Terrorismus und das internationale Drogengeschäft. Syrien stehe auf den Listen der „Exportländer“, betonte Aoun. Aus seinem in der westlibanesischen Bekaa-Ebene gelegenen Trainingscamp verschicke das syrische Regime die Terroristen und die Drogen über ein und denselben Weg, nämlich die libanesischen illegalen, von den moslemischen Milizen kontrollierten Häfen.

Vor diesem Hintergrund erhält die vor zwei Wochen von General Aoun gestartete Kampagne zur Schließung der betroffenen Häfen eine andere Dimension, die über die finanzielle Entmachtung der moslemischen Milizen und Opposition weit hinausreicht.

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