: Die Scheu der Lesben vor der Politik
■ „Lesbenpolitischer Ratschlag“ zeigte sich einigermaßen ratlos angesichts der neuen Möglichkeiten in der Stadt / Wie lassen sich die Forderungen der Lesben realpolitisch umsetzen? / Arbeitsgruppe gegründet
Plötzlich scheint die große Chance gekommen, alle möglichen Wünsche und Forderungen in die Tat umzusetzen. Doch die verstreuten Lesbengruppen in der Stadt sind offensichtlich kaum auf die Möglichkeiten vorbereitet, die eine von der AL nominierte Frauensenatorin bietet. So jedenfalls der erste Eindruck vom 3. Lesbenpolitischen Ratschlag, der am Abend vor der Inthronisierung des neuen Berliner Senats im Rathaus Schöneberg tagte.
Unter den Lesben herrscht noch weitgehend Unklarheit darüber, wie, in welcher Weise und durch wen lesbenpolitische Forderungen durchgesetzt werden können. Eine lautstarke Lobby hat sich bislang noch nicht zusammengefunden. Geplant ist zunächst die Gründung eines autonomen lesbenpolitischen Forums. Es soll die Vernetzung der verschiedenen Lesbengruppen herstellen, den Informationsfluß gewährleisten und darüber hinaus als Anlaufstelle für Einzellesben dienen. Allerdings will dieses Forum keine Zuarbeit für die AL leisten und auch gegenüber dem Lesbenpolitischen Ratschlag autonom bleiben. Doch Eile ist geboten, wenn die Lesben im neuen Frauensenat Boden gewinnen wollen.
Christiane Dietrich vom Frauenbereich der AL plädiert daher offensiv für eine enge Zusammenarbeit mit der AL. Der neu zu errichtende Verwaltungsapparat für den Frauenbereich biete es geradezu an, Lesbenpolitik zu institutionalisieren.
Bei dieser Gelegenheit warb Christiane Dietrich auch intensiv um Unterstützung für Anne Klein und bot zugleich kompetenten Frauen an, sich für den noch offenen Staatssekretärinnenposten zu bewerben. Da offensichtlich vielen Frauen die Kenntnis von Verwaltungs- und Organisationsformen parlamentarischer Einrichtungen fehlt, uferte die Veranstaltung teilweise zu politischem Nachhilfeunterricht aus. Dennoch signalisierte die Stimmung unter den rund 60 anwesenden Frauen die Bereitschaft, die Scheu vor parlamentarischer Zuarbeit abzulegen. Eine Arbeitsgruppe wurde gebildet, die die Zusammenarbeit mit der AL vorbereiten soll, eine weitere, die als vermittelnde Instanz zwischen den autonomen Lesben und den Parteifrauen einen Beirat gründen und einen dezidierten Forderungskatalog erstellen soll. Ein solcher Forderungskatalog lag zwar schon in Form eines Papiers vor und sollte an diesem Abend diskutiert werden. Doch im Trubel um die Organisiererei fiel die inhaltliche Diskussion unter den Tisch.
Als Gast nahm kurzzeitig der schwule AL-Abgeordnete Dieter Telge teil. Er berichtete von den spezifisch schwulenpolitischen Verhandlungsergebnissen. Als einzige formale Vereinbarung - sie betrifft auch die Lesben - ist eine „Einrichtung für gleichgeschlechtliche Lebensweisen“ vorgesehen, die dem Bereich Familie zugeordnet wird. Er verwies allerdings auch darauf, daß es den Lesben offenstehe, ihre Belange noch einmal gesondert in den Frauenbereich einzubringen.
Sein kurzes Zwischenspiel warf eine Anzahl spannender Fragen auf: Wird es eine parlamentarische Zusammenarbeit zwischen Lesben und Schwulen geben? Wie stellen sich die autonomen Lesben zur lesbenpolitischen Senatsarbeit? Wie wollen die Lesben weiter vorgehen, um ihre Belange in die öffentliche Diskussion zu bringen und ihre Forderungen durchzusetzen? Christiane Dietrich gibt sich optimistisch: Soviel wie jetzt sei politisch noch nie durchgesetzt worden.
Beate Kirchenmaier
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